Web-Books
in the Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Geschichte
Historische Aufzeichnungen
Josephinische Mandarine - Bürokratie und Beamte in Österreich
Page - 157 -
  • User
  • Version
    • full version
    • text only version
  • Language
    • Deutsch - German
    • English

Page - 157 - in Josephinische Mandarine - Bürokratie und Beamte in Österreich

Image of the Page - 157 -

Image of the Page - 157 - in Josephinische Mandarine - Bürokratie und Beamte in Österreich

Text of the Page - 157 -

9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 157 wirkte verschlimmernd auf sein Leiden. Ehrhart, von Mitleid erfasst, beschreibt den vorgeschriebenen Amtsweg und die verschlungenen, nicht vorgeschriebenen, aber auch nicht verbotenen Amtspfade: „Die gegebene Erledigung war, das Ge- such dem Landesschulrat in Kärnten zur Amtshandlung zu übermitteln. Diese Stelle würde im eigenen Wirkungskreis das Erforderliche und Mögliche zu ver- anlassen haben.“ Diese Vorgangsweise habe ihm aber widerstrebt, wohl wissend, dass damit der Fall wahrscheinlich abgewiesen werden würde. Da er überzeugt war „von der nie versiegenden Güte des Kaisers“ und besonders gerührt über die „groteske“ Wendung der Ehefrau in besagtem Schreiben, „man würde es nicht glauben, wie der einst so schöne Ratz jetzt zum Skelett abgemagert ist“, gab Ehr- hart – selbstverständlich im Einverständnis mit seinem Amtschef – das Gesuch dem Landesschulrat nicht zur „Amtshandlung“, sondern zur „Berichtserstattung“ weiter, damit sich die Landesbeamten „mehr Mühe“ machen mussten, „für den armen Teufel doch etwas zu finden“. Das Gesuch wurde vom Kärntner Landes- schulrat tatsächlich positiv erledigt.226 Der „schöne Ratz“ und seine Frau waren durch die kluge Vorgangsweise eines jungen, einflusslosen Beamten gerettet, was die Familie Ratz wohl nie erfuhr. In Sachen Kultur und Kunst zeigte sich der bürokratische Einfluss besonders vehement, da dem Kunstsinn und Kulturverständnis der Beamten – Faktoren, die bekanntlich nicht genau beschrieben werden können – die Vorentscheidung an- vertraut war. Letztlich kam es auf den Minister an. Van Heerde stellte fest, dass der bürokratische Einfluss auf das Kunstschaffen zwischen 1870 und 1890 abnahm und ab diesem Zeitpunkt bis zum Ende der Monarchie wieder stark zunahm.227 Es lag in der Natur der Sache, dass der Staat die Kunst als wichtiges Mittel zu seiner Pro- paganda, zur Erweckung patriotischer Gefühle und Vaterlandsliebe verwendete, die vaterländische Tradition stand daher in hoher Gunst. Die moderne Kunst, die in Wien um 1900 manifest wurde, hatte mit dieser allerdings wenig zu tun. Unter diesen Voraussetzungen ist es erstaunlich, dass die Beamtenminister, allen voran der Wissenschaftler Wilhelm August Ritter von Hartel, sich durch sachverstän- dige Kunstkommissionen und einen Kunstrat beraten ließen und schließlich als entschiedene Förderer auftraten, obwohl die Moderne in der Öffentlichkeit, be- sonders in den konservativen Kreisen Wiens, vehementen Anstoß erregte. Man ließ sich nicht beeinflussen, die Förderung auf verschiedenen Ebenen zu betrei- ben, durch Beteiligung an nationalen und internationalen Ausstellungen, durch 226 EHRHART, Im Dienste, S. 106 f. 227 Van HEERDE, Staat und Kunst, S. 70, zum Folgenden S. 74–92 und 106.
back to the  book Josephinische Mandarine - Bürokratie und Beamte in Österreich"
Josephinische Mandarine Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Josephinische Mandarine
Subtitle
Bürokratie und Beamte in Österreich
Author
Waltraud Heindl
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2013
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78950-5
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
336
Keywords
Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
Categories
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Table of contents

  1. Vorwort 11
  2. I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
    1. 1. Theoretische Überlegungen 17
    2. 2. Die zwei Realitäten der Bürokratie 24
    3. 3. Definitionen, Details und Daten 26
  3. II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
  4. III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
    1. 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
    2. 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
    3. 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
    4. 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
    5. 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
  5. IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
    1. 1. Wandel der politischen Strukturen 85
    2. 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
    3. 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
    4. 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
    5. 5. Nationale Illustrationen 106
    6. 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
    7. 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
    8. 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
    9. 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
    10. 10. Generationenkonflikte um 1900 160
  6. V. Das soziale Umfeld 165
    1. 1. Beamte und bürgerliche Gesellschaft 165
    2. 2. Der Alltag im bürokratischen Leben oder die kleinen großen Unterschiede 168
      1. Soziale Distinktionen: Ausbildung, Karriere und Rekrutierung 170
      2. Äußere Zeichen – Für und Wider die Beamtenuniform 177
      3. Umgangsformen im Amt 180
      4. Arbeitszeit und Amtsräume 184
      5. Amtsroutine, Akten und bürokratische Skurrilitäten 187
    3. 3. Verbindende Gemeinsamkeiten – Amtsstil, Kanzleisprache und die Architektur der Amtsgebäude 190
    4. 4. Der private Alltag – das symbolische Kapital 198
      1. Amtsroutine im Privatleben? 198
      2. Bürgerlicher Lebensstandard?
      3. Die Grundbedürfnisse Essen und Wohnen 200
      4. Die Beamtenfamilie: Intimität und Öffentlichkeit 209
      5. Die „gut-bürgerliche“ Gesellschaft – Private Netzwerke 221
      6. Freizeitgestaltung als Netzwerkbildung 229
  7. VI. Inszenierungen 235
    1. 1. Literarische Inszenierungen – Fremdbilder 235
    2. 2. Selbstinszenierungen – Selbstzeugnisse 244
  8. VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
    1. 1. Typisch „josephinische“ Beamteneliten? 253
    2. 2. „Andersgläubige“, Sozialdemokraten und Künstler – ungewöhnliche josephinische Beamte? 260
    3. 3. Ein anderer ungewöhnlicher Beamter – Dr. Ludwig Ritter von Janikowski 267
  9. VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277
    1. Anhang 285
    2. Bildnachweis 285
    3. Abkürzungsverzeichnis 286
      1. I. Die Verwaltung und Organisation des österreichischen Kaiserstaates 287
      2. II. Entwicklung der Gehälter der höheren Beamten nach den Gehaltsreformen 288
    4. Quellen-und Literaturverzeichnis 290
    5. Archivalische Quellen 290
    6. Gedruckte Quellen 291
    7. Autobiografische Schriften 295
    8. Ausgewählte Roman- und Dramenliteratur 298
    9. Sekundärliteratur 299
    10. Sachregister 313
    11. Namenregister 317
    12. Ortsamenregister 321
Web-Books
Library
Privacy
Imprint
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Josephinische Mandarine