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IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn?
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bürgerlichen Freiheiten zu kämpfen.246 Das klingt demokratisch! Offenbar sah
Olszewski in der Bürokratie die Handlangerin des Staats-Leviathans, den er im
grundsätzlichen Konflikt zu den Bürgern und ihren Rechten sah, die rechtsstaat-
liche und gesellschaftliche Serviceleistung übersah er geflissentlich. Unser Autor
kritisierte übrigens gefahrlos. Nachdem er das Buch (wahrscheinlich im Amt)
geschrieben hatte, quittierte er den Staatsdienst und machte in der Wirtschaft
Karriere.
Olszewski war nicht der einzige Beamte, der mit Kritik an die Öffentlich-
keit trat. Auch Statthalter Kielmansegg, ein begeisterter Staatsdiener – nicht im
fernen Galizien, wo durch den Zwiespalt zwischen polnischer Autonomie und
Zentralverwaltung besondere Zustände der Verwaltung herrschten, sondern im
Herzen des Reiches –, befand sich als Statthalter von Niederösterreich im ständi-
gen Kriegszustand mit der „stumpfen Routine“, die zwar das Amtsleben erleich-
terte, aber in der Kielmansegg nicht die Aufgabe eines guten Beamten sah. Er
geißelte „den geheiligten Amtsschimmel für jede Angelegenheit“, von dem sich
die Bürokratie die schöne Gleichmäßigkeit und Gerechtigkeit der Verwaltung er-
hoffte.247 Im Übrigen war auch der Verwaltungsfachmann Kielmansegg für eine
Dezentralisierung der zentralistischen Verwaltung, doch gleichzeitig strafte er die
autonome Landesverwaltung mit Verachtung als „exzentrisch“, sie wirke auf die
Staatsautorität „destruktiv“ und „sei eine der faulsten Früchte jener liberalen Dok-
trinen, die auf die längst verstorbenen ständischen Einrichtungen aufgepfropft
worden seien“. Auch Ministerpräsident Koerber, dem die Notwendigkeit einer
Verwaltungsreform bewusst war und dem offenbar wie Kielmansegg die „Dop-
pelverwaltung“ ein Dorn im Auge war, hatte im Jahr 1904 eine „Studie über die
Reform der inneren Verwaltung“ in Auftrag gegeben, in der hauptsächlich die
Frage des Verhältnisses der unteren Instanzen zur Länder- und Gemeindeautono-
mie ausgebreitet wurde.248 Sie hätte, wäre sie in die Praxis umgesetzt worden, eine
246 OLSZEWSKI, Bureaukratie, S. 278–300; über die Kritik von tschechischer Seite an beamteter
Routine und Unbeweglichkeit VOŠALIKOVA, Einleitung zu Von Amts wegen, S. 39.
247 GOLDINGER, Einleitung zu KIELMANSEGG, Kaiserhaus, Staatsmänner, S. 11.
248 ERNEST von KOERBER, Studien des Ministerpräsidenten Dr. Ernest von Koerber über die
Reform der inneren Verwaltung (Wien 1904), FREDERIK LINDSTRÖM, Empire and Iden-
tity: Biographies of the Austrian State Problem in the Late Habsburg Empire (= Central Eu-
ropean Studies, Purdue University Press 2008); zu Koerber auch ALFRED ABLEITINGER,
Ernest von Koerber und das Verfassungsproblem im Jahre 1900. Österreichische Nationalitäten-
und Innenpolitik zwischen Konstitutionalismus, Parlamentarismus und oktroyiertem Wahlrecht
(= Studien zur Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie 12, Wien/Köln/Graz 1973) ,
S. 221; GOLDINGER, Zentralverwaltung in Cisleithanien, S. 113.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277