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3. Verbindende Gemeinsamkeiten
Selbst private Liebesbriefe „offizieller Personen“, etwa Erzherzog Johanns
(1782–1859) an Anna Plochl (1804–1885) in den Jahren des ersten Viertels des 19.
Jahrhunderts oder des Feldmarschallleutnants Conrad von Hötzendorf (1852–
1925) an Gina von Reininghaus um die Zeit des Ersten Weltkriegs, um nur zwei
Beispiele zu nennen, weisen einen zurückhaltenden Stil, diese im Dienst erlernte
Unpersönlichkeit auf, die sie nie wieder ablegen konnten. Erzherzog Johanns
Beschreibungen seines Lebens und seiner Liebe sowie seine Briefe an seine spä-
tere Frau Anna Plochl beispielsweise klingen für unsere Ohren heute reichlich
nüchtern, und Conrad von Hötzendorf, der seine leidenschaftliche Liebesbriefe
an Gina von Reininghaus nicht mit seinem Vornamen Franz, sondern mit Conrad
unterzeichnete, vergaß nie den Titel FML wie in militärischen Schreiben hinzu-
zufügen.335
Claudio Magris ist zuzustimmen, wenn er meint, ein „derartiger Stil spielt auf
die bürokratische Seele an, enthüllt sie, stellt zwischen den Menschen und das
Leben die schützende Wand einer Tradition und Sprache, die das Chaos der Exis-
tenz, Shakespeares Märchen von der Wildheit des Lebens in geordnete und maß-
volle Bahnen lenkt“, Werfel habe sie in der unpersönlichen Sprache Franz Josephs
gepriesen.336
Wie wenn die Nationalitätenkämpfe, in denen die Muttersprache eine ent-
scheidende Rollte spielte, noch eines weiteren Akzents bedurft hätten, wurde in
Ämtern der k. k. Monarchie die deutsche schriftliche Kanzleisprache – abgesehen
von der Frage des Gebrauchs in den gemischtsprachigen Gebieten – auch philolo-
gisch zum Zankapfel. Das heißt, das Problem der „Reinhaltung der Sprache von
den Einflüssen anderer Sprachen“ wurde zu einem nationalen Kampfbegriff, der
in den 1880er-Jahren vom „Allgemeinen deutschen Sprachverein“ ausging, dessen
Ziel es war, die deutsche Sprache zu pflegen und sie von „unnötigen“ fremden
„Bestandteilen“ zu reinigen“, „den echten Geist und das eigentümliche Wesen der
deutschen Sprache“ zu pflegen, „Liebe und Verständnis für die Muttersprache“ zu
335 ERZHERZOG JOHANN von ÖSTERREICH, Der Brandhofer und seine Hausfrau. (Eigen-
händige Aufzeichnungen des Erzherzogs Johann von Österreich von ihm selbst erzählt. Heraus-
gegeben und eingeleitet von Walter Koschatzky (Graz 31982); auch VIKTOR THEISZ, Johann
Erzherzog von Österreich. Der steirische Prinz. 2. erweiterte Auflage herausgegeben von Grete
Klingenstein (Wien/Graz/Köln 1981) [Darin:] Erzherzog Johann von Österreich Briefe; FRANZ
CONRAD von HÖTZENDORF, Private Aufzeichnungen. Erste Aufzeichnungen aus den Pa-
pieren des k. u. k. Generalstabs-Chefs. Bearbeitet und herausgegeben von Kurt Peball (Wien/
München 1977).
336 MAGRIS, Der habsburgische Mythos, S. 65.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277