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V. Das soziale Umfeld
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wecken, „den Sinn für die Reinheit, Richtigkeit, Deutlichkeit und Schönheit“ zu
fördern.337 Damit sollte vor allem „das deutsche Volksbewusstsein“ gekräftigt wer-
den. Endlich (1911) fiel das Thema in Wien auf fruchtbaren Boden, wo ein Zweig-
verein, „Verein zur Pflege der deutschen Sprache in Wien“, gegründet wurde, der
unter den Vereinszwecken hervorhob, Ämtern, Behörden und Körperschaften An-
regungen zu geben, ihrem schriftlichen Sprachgebrauch größere Sorgfalt zu wid-
men. Als ein besonderes Anliegen wurde angesehen, die zahlreichen Fremdwörter,
die sich in den Kanzleien eingebürgert hatten, durch deutsche Wörter zu ersetzen,
die, so argumentierte man, auch besser verständlich wären.338 Besonders das k. k.
Gewerbeförderungsamt rührte für die Ziele des „Vereins zur Pflege der deutschen
Sprache“ kräftig die Werbetrommel. Mitten im Krieg 1916/17 (!) wurden die Be-
mühungen schließlich von Erfolg gekrönt und den Behörden auf Weisung des
Bürgermeisters die Zusammenarbeit mit dem „Verein zur Pflege der deutschen
Sprache in Wien“ zur „Reinhaltung der deutschen Sprache“ anbefohlen. Von den
Vorschlägen, die Ämter aus den Reihen des Magistrats vorbrachten,339 kamen die
umfangreichsten vom Direktor der Städtischen Sammlungen, der seitenweise
„undeutsche“ Wörter, die in der Kanzleisprache der Stadt Wien üblich waren,
erhob und gleichzeitig Vorschläge zur „Eindeutschung“ vorlegte: Für das Wort
„abnorm“ etwa wurde „regelwidrig“ vorgeschlagen, für den Amtsbegriff „ad acta“
„einlegen“, Administration sollte durch „Verwaltung“, „Agent“ durch „Geschäfts-
vermittler“ ersetzt werden, für „Garage“ sei, so befand man, „Wagenschuppen“ zu
gebrauchen, „Bürgschaft“ für „Garantie“, „zweiteilen“ für „halbieren“, „Beurtei-
lung“ für „Zensur“, „vereinheitlichen“ für „zentralisieren“, um nur einige wenige
Beispiele zu nennen. Die Vorschläge zur „Eindeutschung“ muten auch uns skurril
an, da diese Fremdwörter heute noch unangefochten im Gebrauch sind: Ein Be-
weis, dass die Bemühungen von geringem Erfolg gekrönt waren, die österreichi-
sche Kanzleisprache bis zum Ende des Reiches und darüber hinaus erhalten blieb.
„Das Amt“ (die Verwaltung) auf höchster Ebene präsentierten die nach der
1848er-Revolution gegründeten Ministerien (anstatt der alten Hofstellen) in
337 Die entsprechenden Akten in Magistratsabteilung 122 – A7 – Briefe Diverses: Schachtel 4:
Sprachpflege 1911–1917, ARCHIV DER STADT WIEN. Ich danke meinem ehemaligen Stu-
denten Herrn Mag. Virgil Guggenberger herzlich für den Hinweis und die Überlassung der
Akten.
338 Magistratsabteilung 122 – A7 – Briefe Diverses: Schachtel 4: Sprachpflege 1911–1917. ARCHIV
DER STADT WIEN.
339 Alle folgenden in Magistratsabteilung 122 – A7 – Briefe Diverses: Schachtel 4: Sprachpflege
1911–1917, Fremdwortlisten, ARCHIV DER STADT WIEN.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277