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V. Das soziale Umfeld
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blieb damit kaum eine Summe von 150 Gulden (300 Kronen) übrig, die er spa-
ren konnte. Angesichts des relativ höheren Ranges, den ein Sektionsrat einnahm,
können wir kaum von Luxus sprechen, in dem er und mit ihm seine Familie lebte.
Ein wesentlicher Indikator für die Lebenshaltung bzw. den Status von Perso-
nen bietet das Wohnen, das je nach Region preislich höchst verschieden war, und
dessen Spanne in den Großstädten wie auch heute am größten war. Wie wir aus
den zeitgenössischen Angaben sehen können, nehmen die Mietkosten in Wien
einen hohen Anteil an den jährlichen Ausgaben eines Beamten in Anspruch. Der
fast sprichwörtliche Wohnungsmangel in der Großstadt Wien bedeutete, dass das
Angebot gering, die Nachfrage groß, die Preise für Wohnungen dementsprechend
hoch waren.
Nach der Vorstellung von Regierung und Kaiser durften Beamte ihrem Rang
entsprechend nicht allzu ärmlich wohnen. Es ging ihnen dabei wahrscheinlich we-
niger um die Beamten. Doch wie hätte das Prestige der Vertreter des Staates in den
Augen der guten Gesellschaft ausgesehen, hätten sie in Löchern hausen müssen?
Es gab auch in der Zeit nach 1848 – wie seit Jahrhunderten zuvor – die Ein-
richtung der Dienstwohnungen mit genauen Bestimmungen über die Größe, die
man für die verschiedenen Ränge in den verschiedenen Städten der Monarchie
für sozial zumutbar erachtete. Danach hatten die untersten Rangklassen (XI und
X) ein Anrecht auf eine Zweizimmerwohnung, die Ränge IX und VIII durften
bereits drei Zimmer beanspruchen, dem Vertreter der Rangklasse VII, also bereits
einem höheren Beamten, stand eine Vierzimmerwohnung zu, dem der VI. eine
Wohnung mit fünf Zimmern, die Beamten der V. und IV. Rangklasse, also Elite-
beamte, durften in sechs Zimmern wohnen.362 Die festgesetzte Größe der Dienst-
wohnungen gibt uns ein realistisches Bild, welchen Status, welche soziale Rolle
der Staat den einzelnen Beamtenrängen zuweisen wollte, das heißt, welche Reprä-
sentation sie aus der Sicht der Staatsmacht als Vertreter und Vollzugsorgane zu er-
füllen hatten. So war für den Bezirkshauptmann von St. Pölten in den 1860er-Jah-
ren eine geräumige Wohnung mit neun Zimmern (inklusive Dienstbotenzimmer)
vorgesehen, für die Wohnung des Direktors der Staatsdruckerei am Rennweg in
Wien allerdings etwa 20 Jahre später nur sieben Zimmer.363 Wog der Posten eines
zur österreichischen Statistik, 550. Tabellenanhang 550 A, Wien 1979/80) Tabelle A 9. 1; siehe
S. 202.
362 Vgl. HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 273 und 289; HAFNER, Der sozio-ökonomische Wan-
del, S. 162.
363 Siehe Bild der Bezirkshauptmannswohnung in HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 279; zur
Wohnung Becks ALLMA�ER-BECK, Vom Gastwirtssohn, S. 161.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277