Page - 207 - in Josephinische Mandarine - Bürokratie und Beamte in Österreich
Image of the Page - 207 -
Text of the Page - 207 -
207
4. Der private Alltag – das symbolische Kapital
den tatsächlichen Lebensstil im Nachhinein etwas geschönt haben mögen, sie zei-
gen doch das Ideal des Lebensstils, das den Staatsdienern vorschwebte.
Die allgemeine Wohnungsnot in der Großstadt Wien war in aller Munde, und
das bereits seit dem 18. Jahrhundert,369 der Zustand der Altbauwohnungen war
schlecht und die Preise für gute Wohnungen (die allerdings noch lang nicht reprä-
sentative Nobelwohnungen darstellten) hoch,370 die Wohnkultur vieler Beamten
dementsprechend bedauerlich: „Die meisten Beamten leben in den denkbar ein-
fachsten Wohnungen in alten, unkomfortablen Häusern der Inneren Stadt oder
Josefstadt. Wer im Städtischen Museum die zwei Grillparzer-Zimmer gesehen hat,
hat Hunderte österreichische Beamtenwohnungen gesehen. Man wundert sich
oft, in welcher Unordnung und Ungepflegtheit hochgestellte, in ihrem Amt sicher
pedantische Beamte wohnen“,371 bemängelt der wohl zur Übertreibung neigende
Friedländer. (Was würde Friedländer zu den Behausungen manch heutiger junger
Beamten sagen?) Es klingt ein wenig abwegig, aber wohlhabende Personen wohn-
ten in guten Wohnungen in vornehmen Bezirken billiger als ärmere in kleineren
Wohnungen in weniger eleganten Gegenden Wiens. Gegen die Jahrhundertwende
nahmen die zeitgenössischen Beschwerden über die Wohnungssituation zu. Elisa-
beth Lichtenberger verfolgte die Spur der „sozialräumlichen Gliederung der öffent-
lich Bediensteten“ und stellte in Wien „Beamtenbezirke“ fest.372 Es gab im Übrigen
gar nicht so wenige Beamte, die als Einwohner Wiens gezählt wurden: Im Jahr 1873
wurden 4.562 Staatsbeamte in Wien (ohne Vororte) angegeben. Um das Jahr 1869
war es vor allem der III. Bezirk, in dem die meisten Beamten wohnten, gefolgt in
der Reihung vom I. Bezirk, der Innenstadt, und den Bezirken VIII, Josefstadt, IV,
Wieden, und IX, Alsergrund. Im selben Jahr wurden der III., IV. und VIII. Bezirk
als „Bezirke mittleren Wohlstandes“, der IX. Bezirk wurde zu den „ärmsten“ Bezir-
ken gerechnet, der allerdings 13 Jahre später, im Jahr 1880, bereits in der Reihung
des Wohlstandes in den Kommentaren der Stadt Wien zu den Volkszählungsergeb-
nissen (die bis zu den 1890er-Jahren publiziert wurden) an zweiter Stelle stand.373
Mentalität und Familienleben des Beamten Gustav Höfken. In: Polgárosodás Közép-Európában.
Tanulmányok Hanák Péter 70. Születésnapjára [Verbürgerlichung in Mitteleuropa. Festschrift für
Péter Hanák zum 70. Geburtstag], hg. von Éva Somogyi (Budapest 1991), S. 47–56.
369 HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 273 f.
370 SANDGRUBER, Die Anfänge der Konsumgesellschaft, S. 355–358.
371 FRIEDLÄNDER, Letzter Glanz der Märchenstadt, S. 70.
372 Zum Folgenden vgl. ELISABETH LICHTENBERGER, Die Wiener Altstadt. Von der
mittelalterlichen Stadt zur City (Wien 1977), S. 179 f.; MEGNER, Beamtenmetropole Wien, S.
488 und 485 f.
373 MEGNER, Beamtenmetropole Wien, S. 485.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277