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4. Der private Alltag – das symbolische Kapital
den Kapitel hervor, in dem zu ersehen war, wie stark die ökonomischen Verhältnisse
sowie Hierarchie und Ränge im Beruf die private Lebenswelt der Beamtenfamilie
bestimmten.
Gab es also für die Staatsdiener die viel gepriesene Intimität, das (bürgerliche)
gemütvolle „Nest“ oder prägte die Öffentlichkeit des Beamtenberufs vorwiegend
auch das Leben der Beamtenfamilie? Die Familien Salzgeber/Russegger legen in
ihren Briefen Zeugnis für die lebhafte Anteilnahme ab, die Beamtenfrauen und
Töchter an der Berufsarbeit ihrer Familienpatriarchen und Söhne in der Öffent-
lichkeit hatten. Ebenso zeigte Vater Salzgeber in seinen Briefen großes Interesse an
Kindern, Schwiegersöhnen und Kindeskindern.385 Man lebte also gegenseitig mit.
Der Weg, bis es zur Beamtenfamilie kam, war lang und unter Umständen
mühselig. Von den verbreiteten – um es vornehm auszudrücken – beengten öko-
nomischen Lebensbedingungen war bereits ausführlich die Rede, die in vielen Fäl-
len eine Eheschließung hinauszögerten. Die privaten Aufzeichnungen, Briefe und
Lebensberichte erzählen einhellig davon, dass besonders der Beginn des Berufsle-
bens eines Beamten hart war. Sofern Beamte nicht aus einem begüterten Eltern-
haus kamen, hatten sie als minderbemittelte Studenten bereits ein entbehrungs-
reiches Jusstudium hinter sich gebracht, das sie sich oft selbst mit Unterricht als
Hauslehrer finanzierten. Die Verdienstmöglichkeit, als „Werkstudent“ Hausleh-
rer- oder Erzieherdienste in adeligen oder gut gestellten bürgerlichen Häusern zu
leisten, hatte Tradition. In der Zeit vor 1848 verdienten sich nicht nur die Beam-
tendichter Franz Grillparzer und Adalbert Stifter so ihr Studium.386 Für die Zeit
danach seien wieder die Brüder Anton und Joseph Beck als Beispiel genannt, die
in den Häusern des Orientalisten Hammer-Purgstall, der Fürsten Schwarzenberg
und des Baron Erggelet als „Hofmeister“ bzw. Erzieher fungierten. Karl Renner
hatte eine Reihe von Hauslehrerstellen – manchmal mehrere gleichzeitig – zu ver-
sehen, damit er und seine junge Familie überhaupt ihr Leben fristen konnten.387
Nach diesem abhängigen Dasein lebten sie auch als junge Beamte entsprechend
dem kärglichen Gehalt (sofern überhaupt eines gezahlt wurde) am Existenzmi-
nimum. Der Wunsch des Vaters spielte sowohl bei der Studien- als auch bei der
Berufswahl eine wesentliche Rolle sowie die Beamtenexistenz des Vaters auch die
Wahl des Sohnes mitbestimmte; die wenigen Frauen in den unteren Kategorien
385 Geschichte der Familie Blühdorn, Manus Briefe, PA BLECHNER.
386 HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 198.
387 KARL RENNER, An der Wende zweier Zeiten. Lebenserinnerungen (Wien 1946), im Beson-
deren S. 219–239.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277