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4. Der private Alltag – das symbolische Kapital
Dieselben Ängste der vorgesetzten Behörden, Beamte könnten finanzielle Über-
griffe tätigen, betrafen auch die Eheschließungen der jungen Beamten, ohne dass
ausreichendes Vermögen vorgewiesen werden konnte. Prinzipiell wurde an der
bürgerlichen Ehefreiheit festgehalten, das heißt, dass Beamte – anders als Offiziere
und Militärbeamte – nicht um Eheerlaubnis ansuchen und keine Heiratskautionen
zu erlegen hatten. Doch bereits um 1800 mussten Staatsbeamte zeitweise bei Heirat
einen Einkommens- bzw. einen Vermögensnachweis erbringen, um junge Beam-
tenfamilien vor Verarmung und damit den Staatsdienst vor „Entehrung“ zu be-
wahren. In Wien galten 400 Gulden, in den Provinzstädten 300 und am Land 200
Gulden als Untergrenze des Verdienstes,393 Summen die nie mehr valorisiert und
damit spätestens nach der Gehaltsreform von 1873 hinfällig wurden. Auf die „Stan-
desgemäßheit“ der Ehefrau wurde streng geachtet. Eine unstandesgemäße Ehe
konnte der Karriere eines Beamten schaden. Einem höheren Finanzbeamten, der
in zweiter Ehe seine Köchin heiratete, wurde beispielsweise der Hofratstitel ver-
weigert.394 Selbstverständlich hatte die Braut den Ruf „ausgezeichneter Moralität“
zu haben. Karl Renner, der im „Konkubinat“ (mit Kind) lebte, musste anlässlich
seines Eintritts in die Parlamentsbibliothek 1896 sofort seine Lebensgefährtin hei-
raten. Trotzdem bekam er Schwierigkeiten, weil die Braut nicht als einem Beamten
„ebenbürtig“ angesehen wurde. Die politisch „radikale Studentenvergangenheit“,
von der Renner Lästigkeiten befürchtete, wurde kurioserweise nicht beachtet.395
Diese prekären Verhältnisse von jungen Beamten brachten es mit sich, dass
ein Beamter im Allgemeinen durchschnittlich spät, erst mit etwa 40 Jahren, hei-
ratete – sofern er sich dann überhaupt noch zu einer Ehe entschließen oder die
entsprechende Partnerin finden konnte. Eine ansehnliche Reihe von hohen und
höchsten Beamten blieb unvermählt. Um nur einige Beispiele zu nennen: Die
Ministerpräsidenten Ernest von Koerber und Max Wladimir von Beck sowie Fi-
nanzminister Steinbach hatten eine Beamtenlaufbahn absolviert, bevor sie in die
Regierung eintraten und waren nicht verheiratet, ebenso der uns bereits gut be-
kannte, weil viel zitierte, Robert Ehrhart. Der Vater Max Wladimirs, der Direktor
der Staatsdruckerei Anton Beck, sowie sein Bruder, der spätere Hofrat am Obers-
ten Gerichtshof Josef, heirateten beide spät, Josef im Alter von 35 Jahren, Anton
war genau 40 Jahre alt, als er sich verehelichte.396 Peter von Salzgeber heiratete mit
393 B�ONSKI, Civilstaatsdienst, S. 240.
394 MEGNER, Beamte, S. 166.
395 RENNER, An der Wende, S. 295–297.
396 ALLMA�ER-BECK, Vom Gastwirtssohn, S. 95 und 114.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277