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V. Das soziale Umfeld
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gewisses psychisches Sicherheitsbedürfnis. Beamtete Heiratskandidaten suchten
manchmal auch unter den Töchtern der gelehrten Welt der Universitäten und
Wissenschaft sowie aus dem reichen Gewerbe, den Banken und der Industrie,
mitunter kamen auch Ehen zwischen Beamtentöchtern und Offizieren vor. Letz-
tere Verbindung dürfte eher selten gewesen sein, da beide Berufsgruppen allge-
mein nicht mit reichen Gütern gesegnet waren. Der Beamte und spätere Minister
Stremayr „verheiratete“ allerdings seine drei Töchter umsichtig mit je einem Be-
amten, einem Ingenieur und einem Offizier. Möglicherweise wählten die Töchter
auch selbst, die Zustimmung des Vaters war Voraussetzung und war im Fall Stre-
mayr selbstverständlich erfolgt.406 Das Beamtenkonnubium trug sicherlich nicht
wenig dazu bei, dass es in Wien wie in den böhmischen Ländern und vermutlich
auch in allen anderen Kronländern seit dem 18. Jahrhundert zur Bildung von Be-
amtendynastien kam, die vielfach miteinander verwandt und verschwägert waren.
In den Beamtenkreisen mochte das bürgerliche Familienideal mit den entspre-
chenden Rollenaufgaben für Mann und Frau weitgehend den familiären Alltag
der Geschlechter bestimmt haben. Und dieses beruhte auf der außerhäuslichen,
entlohnten Arbeit des Familienoberhauptes, des Mannes, und der häuslichen (un-
bezahlten) der Frau. Hannes Grandits weist mit Recht darauf hin, dass die Füh-
rung eines solchen guten bürgerlichen Familienlebens, zumindest die Demonstra-
tion einer Lebensgestaltung in einer „richtigen Familie“, mit dem entsprechenden
finanziellen, aber auch dem symbolischen Kapital von Bildung und Kultur einen
wichtigen konstituierenden Part des bürgerlichen Selbstverständnisses darstellte.
So hatten die „standesgemäße Ehepartnerin“, der „standesgemäße Ehepartner“,
die entsprechende Anzahl von Kindern, die bürgerliche Wohnung mitsamt dem
dazugehörigen Interieur, der gesellschaftliche Umgang, die Präsentation von Bil-
dung sowie die Anzahl von Dienstboten, die zur Aufrechterhaltung dieses Lebens-
stils notwendig war, höchsten gesellschaftlichen Wert.407 Der soziale Druck und
die Ansprüche, die „zum Wohle der Familie“ an die Arbeits- und die psychische
Kapazität der beiden Geschlechter gestellt wurden, waren unter Umständen nicht
gering.408 Von den Beamtengruppen konnte das bürgerliche Ideal nur von den
höheren Rängen gelebt werden. Der Mann sollte der Alleinernährer sein, der die
wirtschaftliche Basis in ausreichendem Maße zur Verfügung stellte, bürgerliche
406 STREMA�R, Erinnerungen, S. 57 f. und 63 f.
407 GRANDITS, Familienleben, S. 78 f.; zu den bürgerlichen Werten im Besonderen ULRIKE
DÖCKER, Die Ordnung der bürgerlichen Welt. Verhaltensideale und soziale Praktiken im 19.
Jahrhundert (= Historische Studien 13, Frankfurt am Main/New �ork 1994), S. 219–275.
408 Zum Folgenden HEINDL, Geschlechterbilder und Geschlechterrollen, S. 716–719.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277