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V. Das soziale Umfeld
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wohl auch die übliche Praxis war. Nehmen wir das Vater-Sohn-Verhältnis ernst,
wie es Joseph Roth im „Radetzkymarsch“ von Bezirkshauptmann Trotta und sei-
nem Sohn entwirft, so können wir daraus schließen, dass in Beamtenkreisen wie
in beinahe allen sozialen Gruppen der Vater fast durchwegs als ehrfurchtgebie-
tende und wenig zugängliche Figur empfunden wurde.410 „Vater war in gewis-
ser Weise ein Sonderling, sprach wenig, war auf den ersten Blick unfreundlich,
von streng sittlichem Charakter“, so schildert die bereits erwähnte Luisa Hálová
ihren Vater, den Landesgerichtsrat.411 Manche Beamtenväter konnten wohl der
Familie nicht viel Augenmerk zuwenden, wenn wir uns ihren Tagesplan ansehen:
„Zeitig früh im Haus an den versicherungstechnischen Berechnungen“, so lautete
der Beginn des Tagesplans des Hofbeamten Friedrich Mayr, „gegen neun Uhr im
Amt, […]. Halb drei Uhr Mittagessen, kurzer Schlaf, dann Caféhaus […] mit Bil-
lardspielen, dann mit Freunden Nachtmahl im Hotel Viktoria […]. In der guten
Jahreszeit wurde statt des Caféhauses Nachmittags Kegel geschoben.“412 Wir fra-
gen uns, wann Herr Mayr bei diesem „regelmäßigen“ Tagesablauf seine Frau und
Kinder zu Gesicht bekam. Der Beamten-Familienvater hatte als gesellschaftliches
Grundprinzip die strenge Verpflichtung, sich um die standesgemäße Versorgung
der gesamten Familie zu kümmern. Der stichhaltige Grund, den Peter Gay als Ar-
gument vermutet,413 das männlich-bürgerliche Streben nach Geld und Gut in den
katholischen Kreisen moralisch zu rechtfertigen, fiel bei Beamten allerdings weit-
gehend weg. Sie waren nicht den Erfolgskriterien des bürgerlichen Erwerbslebens,
sondern dem im Voraus berechenbaren Gehaltsschema unterworfen.
Die Mutter war als Kontrapunkt zum Vater dazu ausersehen, den Kindern
Liebe und Wärme, Kultur und Religion zu vermitteln und die Erziehung der Kin-
der zu leiten, Pflichten, die vom Vater nicht erwartet und in vielen Fällen wohl
auch nicht erfüllt wurden. In den privaten Quellen wird die Mutter als der Hort
der Liebe und der Fürsorge geschildert. Ob dies nur dem gängigen Stereotyp ent-
sprach oder tatsächlich so erlebt wurde, ist für uns schwerlich zu entscheiden. Der
Beamte Richard Seeger, Sohn eines Richters, beschreibt seinen Vater als absoluten
410 JOSEPH ROTH, Radetzkymarsch (Ersterscheinung Berlin 1932).
411 HÁLOVÁ. In: VOŠALÍKOVÁ, Von Amtswegen, S. 272. Diesen Typus schildert auch ERNST
HANISCH, Männlichkeiten. Eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts (Wien/Köln/Wei-
mar 2005), S. 301 ff.
412 FRIEDRICH FREIHERR von MA�R, Geschichte der Familie Mayr, Manus, S. 24, PA
HENCKEL-DONNERSMARCK.
413 PETER GA�, Das Zeitalter des Doktor Arthur Schnitzler. Innenansichten des 19. Jahrhunderts
(Frankfurt am Main 2002), S. 70.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277