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V. Das soziale Umfeld
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ständlich den gelehrten Beamten überaus ärgerte.426 Offenbar gab es auch diesen
anderen Typ in der angesehenen Bürokratie, den ungepflegten, ungeselligen Bü-
cherwurm, der gutes Essen und Frauen verachtete und nicht zu leben wusste, den
Otto Friedländer im Auge gehabt haben dürfte, als er den spartanisch, mönchisch
lebenden Beamten schilderte. Zwischen diesen beiden Typen gab es, wollen wir
Kleinwaechter glauben, kaum eine Verständigung.427
So krass werden die Unterschiede im wirklichen Leben wohl nicht gewesen
sein. So ist uns der Beamte, spätere Sektionschef, Finanzminister und Präsident
des Obersten Gerichtshofes Emil Steinbach (1846–1907) als bedeutender Ge-
lehrter bekannt, der als Universitätslehrer agierte, zahlreiche Abhandlungen zur
sozialen Frage schrieb und in der Öffentlichkeit als mutiger Redner gegen das
grenzenlose Spekulantentum der Gründerzeit zu Felde zog und deshalb als „An-
archist“ gehandelt wurde. Er hätte geradezu prototypisch dem von Friedländer
apostrophierten „mönchischen Ideal“ des österreichischen Beamtentums entspro-
chen. Desgleichen auch sein wenig elegantes Herkunftsmilieu. Er stammte aus
einem jüdischen, kleingewerblichen bzw. nach dem desaströsen Ruin des Vaters
als selbstständiger Goldschmied aus einem Arbeiterumfeld und blieb zeit seines
Lebens unverheiratet. Dennoch war er ein beliebter Besucher und angenehmer,
„geistvoller Causeur“ in den von Damen der Gesellschaft geführten Wiener Sa-
lons.428 Er kann als Prototyp des bürgerlichen Aufsteigers durch eine Beamtenkar-
riere gelten, der die Integration in die „gute Wiener Gesellschaft“ geschafft hatte.
Auch diese beruflichen und gesellschaftlichen Karrieren waren möglich, bedurften
allerdings besonderer Fähigkeiten.
Die Integration der Staatsdiener in „die Gesellschaft“ war gemäß der Rekru-
tierung aus sozial und kulturell so unterschiedlichen Abstammungsmilieus der
hohen und höchsten Beamten sehr different. Im Allgemeinen wurde in den Fami-
lien der hohen Beamtenschaft auf Gesellschaft höchster Wert gelegt. Dort wurden
Beziehungen geknüpft, die für Familie und Laufbahn von Nutzen waren. Hier
sollten eheliche Verbindungen angebahnt und Söhne in bestimmte Positionen
gebracht werden. Um zu der „guten“ Gesellschaft zu gehören, waren – nicht nur
– aber auch materielle Ressourcen notwendig. Es mussten Einladungen angenom-
men und Gegeneinladungen gestartet werden. Dazu hatte aber als Erstes eine ent-
426 KLEINWAECHTER, Der fröhliche Präsidialist, S. 60 f.
427 KLEINWAECHTER, Der fröhliche Präsidialist, S. 29 und 60 f.; Beschreibung von eleganten
Erscheinungen in der Beamtenwelt auch bei EHRHART, Im Dienste, S. 93.
428 FRITZ, Finanzminister Emil Steinbach, im Besonderen S. 1, 190 f. und 91–94.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277