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V. Das soziale Umfeld
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Aber nicht nur die Zugehörigkeit zu bürokratischen Ranggruppen, Familie und
sozialer Schicht – abgesehen von allen persönlichen Veranlagungen, Vorlieben und
Prioritäten – spielte bei der Gestaltung des privaten Lebens eine wesentliche Rolle,
sondern auch das geografische und nationale Herkunftsmilieu war zumindest in
der Wahrnehmung der damaligen Mitwelt entscheidend. So wird etwa von beam-
teten Zeitgenossen deutscher Zunge behauptet, dass die tschechischen und ost-
galizischen Beamten aller Ränge – selbst im „Schmelztiegel“ Wien – im Vergleich
mit ihren Wiener Amtsgenossen bescheidener und anspruchsloser lebten.437 Aus
den Darstellungen der Lebensweise hoher tschechischer Beamter in Wien bekom-
men wir allerdings den Eindruck, dass sie genau dieselben kulturellen Gewohn-
heiten – Theater-, Konzert-, Kaffeehausbesuche, Einladungen zu vornehmen Ge-
sellschaften etc. – aufwiesen (oder in der Erinnerung aufweisen wollten), die auch
die Wiener Beamten besaßen.438 In den Landeshauptstädten sowie in manchen
mittleren und kleineren Städten gewannen die Beamten durch den Ausbau der
Verwaltungsbehörden, der Statthaltereien und der Einrichtung der Bezirksämter
sowie der Bezirkshauptmannschaften an Bedeutung.439 In Galizien bot die 1868
eingeführte Selbstverwaltung für polnische (allerdings kaum für ukrainische) Ge-
bildete über die Amtskarriere Möglichkeiten des gesellschaftlichen Aufstiegs und
der bürger
lichen Akzeptanz.440 Allerdings konnte auch das Gegenteil der Fall sein,
und die Anzahl der Staatsdiener in kleinen Städten nahm nach 1867 unter Um-
ständen ab. In Dornbirn, einer kleinen, aber industriell wichtigen Stadt in Vor-
arlberg mit 8.444 Einwohnern, betrug beispielsweise die Zahl der Staatsbeamten
1857 noch 3,48 % der Bevölkerung, das waren 17 leibhaftige Beamte, sie sank nach
dem Ausgleich im Jahr 1869 auf 2,35 %, auf 13 Beamte ab, sogar auf 1,65 %, 11
Beamte, im Jahr 1879, und stieg erst dann wieder kräftig an – auf 7,73 % im Jahr
1910, das waren immerhin 66 Beamte. Allerdings war 1910 die Einwohnerzahl im
Ernst Bruckmüller, Hans Heiss (= Bürgertum in der Habsburgermonarchie II, Wien/Köln/Wei-
mar 1992) , S. 337–345.
437 EHRHART, Im Dienste, S. 71; siehe auch HEINDL, Zum cisleithaischen Beamtentum, S.
1204.
438 So die Erzählungen von FASSE und MARKOVÁ-JEŘÁBKOVÁ. In: VOŠALÍKOVÁ, Von
Amts wegen, S. 263, 344–347, 338–342.
439 HANNES STEKL und HANS HEISS, Klein- und mittelstädtische Lebenswelten. In: Die
Habsburgermonarchie 1848–1918, IX: Soziale Strukturen, 1.Teil: Von der feudal-agrarischen zur
bürgerlich-industriellen Gesellschaft, 1. Teilband: Lebens- und Arbeitswelten in der industriellen
Revolution (Wien 2010), S. 562.
440 KÜHSCHELM, Bürgertum in Cisleithanien, S. 872.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277