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VI. Inszenierungen
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Selbstverständlichkeit, dass ihnen bei der Lektüre ständig bewusst ist, dass jede
einzelne Darstellung vom beamteten Leben als Spiegel zu sehen ist, durch den das
Bild gebrochen durch Beobachtungen sowie Erfahrungen des jeweiligen Erzählers
wiedergegeben wird. Historiker/innen werden – um nur ein Beispiel zu nennen
– sehr wohl zu berücksichtigen wissen, ob der literarische Autor als Insider, als
Beamter, sein Leben verdiente und somit auch als Beamter sprach oder als Au-
ßenseiter, als Literat, der seine Erfahrungen mit der Beamtenwelt als „Partei“ oder
einfacher Beobachter gemacht hatte. Bei der Bewertung der Bürokratie-Bilder, die
von diesen beiden Gruppen der Autoren entworfen wurden, müssen notgedrun-
gen Unterschiede sichtbar werden. Quellenkritik gehört zum selbstverständlichen
Rüstzeug geschichtswissenschaftlicher Berufe!
In unserem Zusammenhang interessiert vor allem, welche Themen, welche Be-
sonderheiten, welche bürokratischen Eigenheiten, welche Haltungen von Staats-
dienern im Leben, welche Prinzipien, Werte sich in der Literatur widerspiegeln
und was als spezifisch „bürokratisch“ angesehen wird. Unter Umständen bedien-
ten sich Schriftsteller zur Illustration auch einer von der Kanzleisprache gefärbten
Diktion, wie Heimito von Doderer oder Fritz von Herzmanovsky-Orlando. Die
Kanzleisprache wirkte wie früher prägend auf die Literatur, wie bereits besprochen
wurde.475
Die Bandbreite der Schilderungen von Bürokratie und bürokratischen Vorgän-
gen in der österreichischen Literatur ist, wie angedeutet, weit und widersprüch-
lich. Aber gerade die Aufdeckung der Widersprüche innerhalb des Beamtentums
durch die Autoren entspricht der Realität. Das Prinzip, das der Bürokratie in den
Werken der Belletristik zugrunde gelegt wird, ist auf einen einfachen Nenner ge-
bracht: die Wahrung der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung. Die Auto-
ren gingen mit dieser Aussage nicht fehl. Die Herstellung von Ordnung war und
ist die eigentliche Aufgabe von Beamten! Auf das Wie kommt es an. Eine Unzahl
von Behörden war mit der Ausführung dieses Prinzips und der Anwendung der
entsprechenden Gesetze beschäftigt, und ein Heer von Beamten versuchte in ei-
ner hierarchisch geordneten und der Außenwelt nicht ganz verständlichen Welt
mit oder gegen die jeweilige Behörde diese Ordnung auf seine Weise herzustellen.
So kann auch die Zeichnung des bürokratischen Systems und der Beamten, die
diese Ordnung zu hüten berufen waren, durch die Literaten, die in der Regel
einen anderen Ordnungsbegriff als die Beamten haben, nicht anders als wider-
sprüchlich ausfallen. Auf die Zeichnung der unheimlichen, irrationalen Macht
475 Siehe Kapitel „Amtsstil und Kanzleisprache“.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277