Page - 243 - in Josephinische Mandarine - Bürokratie und Beamte in Österreich
Image of the Page - 243 -
Text of the Page - 243 -
1. Literarische Inszenierungen – Fremdbilder
243
Walter, der mangels eines kräftigeren Charakters sich in das Amt hineinmanövrie-
ren ließ; und wir erleben den Grafen Stallburg, der trotz des hohen Amtes und der
Macht nur subaltern agieren konnte „wie ein Eisenbahnportier“.
Graf Stallburg, der Gehorsame, Walter der passive Rebell, weil er die bürokrati-
schen Strukturen nicht, im besten Fall widerstrebend akzeptierte, Graf Leinsdorff,
der geborene Bürokrat mit allen Beamtentugenden ausgestattet, jedoch ohne Be-
amtenexistenz, und Tuzzi, der sachkundige Mandarin, der im Hintergrund die
Geschicke des Staates leitet und staatliche Macht verkörpert. Die Wahrnehmung
des guten Beobachters Musil mag von so manchen Zeitgenossen geteilt worden
sein.
Sabine Zelger versucht, aus den von ihr analysierten Beamtenfiguren der Li-
teratur ein Psychogramm des österreichischen Beamten herzuleiten. Somit wird
„das Bild des Beamten“ in der Fremdwahrnehmung doppelt gebrochen, einerseits
durch den Spiegel der vergangenen Literaten, andererseits durch den Spiegel der
heutigen Literaturwissenschaftlerin:
„Die klassische Beamtenfigur der österreichischen Literatur ist männlich und dif-
ferenziert sich von den Nichtbeamten: durch mangelnde Sportlichkeit, funktio-
nalisierte Bewegungen, penible Raum- und Zeitaufteilungen, Formalisierung der
Alltagsbeschäftigung in Amt und Freizeit (Essen, Gedanken, Kontakte, Träume,
Spaziergänge …), Vorliebe für ordnende Tätigkeiten sowie Angst vor unvorherseh-
baren Ereignissen und Veränderungen.“
Sabine Zelger meint zu bemerken, dass körperliche Gewaltanwendung den Beam-
ten der Literatur ebenso zuwider sei wie das Austragen öffentlicher Konflikte und
dass ihm jede Form von Kommunikationsfähigkeit fehle. Sie konstatiert – aus
den literarischen Beschreibungen schließend: Unabhängig von seiner Position sei
der Staatsdiener für jeden anderen Beruf völlig ungeeignet, daher bei der Lösung
amtsfremder Probleme zum Scheitern verurteilt. Und Zelger kommt zum Schluss:
„Zahlreich sind denn auch die Versicherungen, dass der Amtmann trotz allem ein
Mensch sei, was nicht immer glaubhaft gemacht wird oder was auf ihn mitunter
erst dann zutrifft, wenn er im Ruhestand oder tot ist.“494 Was hätte wohl ein Be-
amter der Monarchie zu diesem Steckbrief gesagt?
494 ZELGER, Das ist alles viel komplizierter, S. 378 f.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277