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2. „Andersgläubige“, Sozialdemokraten und Künstler
verschiedensten beruflichen und privaten Gründen aus dem Judentum aus.541
Die Möglichkeit, Anstellung beim Staat zu finden, wird in so manchen Fällen
der Grund für eine Konversion gewesen sei. Ein hervorragender, in der Öffent-
lichkeit bekannter, doch umstrittener und viel kritisierter jüdischer Beamter war
der aus Krakau stammende Heinrich Ritter von Halban (ehemals Blumenstock,
1845–1902), der es trotz seiner jüdischen Abstammung zum Sektionschef und
Kanzleidirektor des cisleithanischen Abgeordnetenhauses brachte. Er bildet ein
Beispiel dafür, dass in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – selbstverständlich
bei enormer Tüchtigkeit, Begabung und Fähigkeiten – die nationale beziehungs-
weise regionale Abstammung mehr wiegen konnte als das Glaubensbekenntnis.
Halban wurde unter seinem Landsmann Potocki zu höheren Ämtern berufen,
erreichte unter Taaffe den Höhepunkt seiner Karriere, als er Parlamentsdirektor
wurde. In dieser Position wurde er enger Mitarbeiter und Berater seines Lands-
mannes und früheren Kollegen Kasimir Felix Graf Badeni (1846–1909), denn auch
Badenis Karriere zum Ministerpräsidenten hatte über die Beamtenlaufbahn (er
war Bezirkshauptmann in und Statthalter von Galizien gewesen) geführt. Halbans
Ehe mit der Schwester des Führers der Sozialdemokraten Viktor Adler wird seiner
Karriere nicht geschadet haben. Allerdings konvertierte Halban, als er in höhere
Positionen vorrückte, im Jahr 1883 in einer kleinen Innsbrucker Gemeinde zum
Katholizismus, dem er sich nach eigenen Angaben wegen seiner polnischen Iden-
tität verbunden fühlte. Er suchte 1892 um Namensänderung an und wurde in den
Adelsstand erhoben.542 Sein früheres Glaubensbekenntnis sollte allerdings noch
eine bedeutende Rolle spielen, als er während der sogenannten Badeni-Krise als
engster Berater Badenis in das Kreuzfeuer zunächst des Parlaments und dann der
Öffentlichkeit geriet,543 weil ihm Schuld gegeben wurde, die entscheidende Krise
des österreichischen Parlamentarismus verursacht zu haben.544 Rufe wie: „Hinaus
mit dem Juden Blumenstock“, die vonseiten einiger Abgeordneten erschallten,
541 MARSHA ROZENBLIT, Die Juden Wiens 1867–1914. Assimilation und Identität (Wien/Graz
/Köln 1989), S. 138.
542 Ich danke Frau Dr. Hannelore Burger, mich auf den Beamten Halban aufmerksam gemacht zu
haben. Zu Halban GERHARD DABRINGER, Der Wissende. Heinrich von Halban und seine
Zeit (phil. Diplomarbeit, Universität Wien, 1997), S. 59–63.
543 Auch Karl Kraus widmete ihm in der „Fackel“ entsprechend antipolnische und antisemitische
Passagen, DIE FACKEL, hg. von Karl Kraus, Band 1, Jg. 1899 (Anfang Juni 1899), Nr. 7, S. 11.
544 Zum Folgenden HANNELORE BURGER, HELMUT WOHNOUT, „Eine polnische Schuf-
terei“? Die Badenischen Sprachenverordnungen für Böhmen und Mähren. In: Politische Affären
und Skandale in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim, hg. von Michael Gehler, Hubert
Sickinger (Thaur/Wien/München 1995), S. 94.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277