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VII. Josephinismus und Moderne um 1900
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zeigen, wie Hannelore Burger und Helmut Wohnout urteilen, dass der „Zeitgeist
es wollte, dass es nur ein Jude gewesen sein konnte, der den österreichischen Par-
lamentarismus zerstört hatte“. Er trat bald nach dem Rücktritt Badenis 1898 im
Alter von 62 Jahren ebenfalls von seinem Posten zurück und starb 1902.545
Auch andere Staatsdiener ließen sich des Fortkommens im Staatsdienst wegen
taufen. Ein Beispiel unter den bürokratischen Eliten ist der bereits ausreichend
genannte Rudolf Sieghart (geboren als Rudolf Singer, 1866–1934), der sich am Be-
ginn seiner Beamtenkarriere (1895) taufen ließ, was für den Sohn eines Troppauer
Rabbiners doch höchst ungewöhnlich war.546 Er galt wegen seines Renommees in
der Regierung – ähnlich wie Halban – als graue Eminenz und wurde von vielen
Seiten angefeindet, wie das Beispiel von Erich Graf Kielmansegg bereits demons-
trierte. Auch Gustav Mahler wechselte bekanntlich vom jüdischen zum katholi-
schen Glauben, um die Stelle als Hofoperndirektor erringen zu können.547
In diesem Zusammenhang müssen auch die Künstler erwähnt werden, die hohe
Beamte im Staatsdienst waren. Eine heute so viel gerühmte und wohlbekannte
Persönlichkeit wie der eben erwähnte Gustav Mahler nahm als „Hofkomponist“
und Dirigent der k. k. Hofoper die Stelle eines Elitebeamten ein, er hatte also ei-
nen Status, der heute fast in Vergessenheit geraten ist. Ebenso war Mahlers älterer
Kollege, der zu seiner Zeit berühmte Komponist von Liedern und Klavierwerken
(unter dem Pseudonym J. Hoven), Freund vieler Komponisten, Johann Vesque von
Püttlingen (1803–1883) Beamter, der es zuletzt zum Sektionschef im Ministerium
des Äußern brachte und dessen Salon in Wien den kulturellen Ton angab.548 In
seinem Salon verkehrten allerdings „keine hochgestellten Herren“, wie der dama-
lige Beamte im Unterrichtsministerium Eduard Hanslick sehr vergnügt vermerkte,
womit dieser wahrscheinlich hochrangige Beamte meinte, sondern nur „Künstler
und Schriftsteller“.549 Ein Grund wohl, dass es dort, so Hanslick, „sehr ungezwun-
545 DABRINGER, Der Wissende, S. 113–117.
546 Zu Siegharts steiler Karriere siehe Kapitel: „Selbstinszenierungen“.
547 Dazu zuletzt „LEIDER BLEIBE ICH EIN EINGFLEISCHTER WIENER“. GUSTAV MAH-
LER UND WIEN, hg. von Reinhold Kubik und Thomas Trabitsch (Wien o. J. [2010]), S. 265.
548 JOHANN VESQUE VON PÜTTLINGEN (J. HOVEN), Lebensskizzen aus Briefen und Ta-
gebüchern, zusammengestellt mit Briefen von Nicolai, Löwe, Berlioz, Liszt u. a. seinen Freun-
den gewidmet (Wien 1887). Der Nachlass Vesques von Püttlingen, aus dem die Verbindungen
mit den musikalisch-kulturell einflussreichsten Personen sowie mit Elitebeamten ersichtlich
sind, befindet sich in HHSTA., Nachlässe.
549 EDUARD HANSLICK, Aus meinem Leben, mit einem Nachwort von Peter Wapnewski (Kas-
sel/Basel 1987), S. 144.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277