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3. Ein anderer ungewöhnlicher Beamter – Dr. Ludwig Ritter von Janikowski
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Die Briefe enthüllen die sehr starke Beziehung, die Ludwig Janikowski zum
Schriftsteller und kritischen Publizisten Karl Kraus entwickelte. Die Beteuerun-
gen der Freundschaft, Wertschätzung und Zuneigung bilden den Hauptteil der
Briefe. „Mein Karl, mein heißgeliebter, mein tief verehrter, mein enthusiastisch
und schwärmerisch bewunderter Freund – das große Glück, die große Wonne,
der einzige Haupttreffer meines Lebens“, so lautet beispielsweise der Beginn ei-
nes Briefes während seines zweiten, mehr als achtmonatigen Aufenthalts in Stein-
hof.597
Karl Kraus verfasste am 30. September 1911 in der „Fackel“ einen rührenden
Nachruf:598 „Den Freunden der Fackel wird gemeldet, daß ihr bester Freund,
mein lieber Ludwig Ritter von Janikowski, Doktor juris und Inspektor im Eisen-
bahnministerium, geboren am 24. Juli 1868 in Krakau, am 18. Juli 1911 in einem
Sanatorium bei Warschau gestorben und am 23. September in Krakau feierlich
beerdigt worden ist.
Unsern geistigen Bund, der von 1904 bis zu seiner tödlichen Erkrankung im
Jahre 1909 dauerte, überlebt meine Dankbarkeit. Dieser tief geistige und tief gü-
tige Mensch, den keine Lebensplage um den inneren Reichtum betrügen konnte,
war nicht Schriftsteller, stand aber künstlerischen Dingen in einem so wahren und
erhabenen Sinne nah, daß nur ein schöpferischer Zufall an ihm den Künstler ver-
säumt zu haben schien. Mit seinem Feuer und seiner Liebe umfing er mein Werk,
in welchem er als erster die geistige Perspektive jener Geringfügigkeiten erkannte,
die die Blindheit für den Inhalt nimmt. Seine Erkenntnis war mir Bestätigung,
seine Bestätigung mitschaffende Tat. Er hat, der im deutschen Sprachgeist hun-
dert deutschen Schreibern überlegene Nichtdeutsche, an und mit mir den Geist
erlebt und die Sprache, und meine Leistung wuchs an seiner Begeisterung. Er hat
um die Kunst gewußt und um die Opfer, die ihre Eitelkeit kostet. Ich habe ihm
,Sittlichkeit und Kriminalität‘ gewidmet, das Buch, an dessen Feilung er beteiligt
war wie an der Herausgabe der ,Sprüche und Widersprüche‘, für deren Mitkor-
rektur ich ihm hier gedankt habe.
Solange Leben gewährt ist, einen Verlust zu beklagen, so lange wird es ein Jam-
mer sein, daß dieser aus Geist und Güte geschaffene Mensch nicht mehr lebt.
Aber sein Verlust ist nicht schmerzlicher als die Erhaltung der Vielen, die niedrig
sind und doch einem unerforschlichen Ratschluß zufolge am Leben. Und der bes-
597 Janikowski an Karl Kraus, Juni 1910, H.I.N. 174.163, WIENBIBLIOTHEK IM RATHAUS,
Handschriftensammlung.
598 DIE FACKEL Nr. 331 / 332, XIII. Jahr, September 1911.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277