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Josephinische Mandarine - Bürokratie und Beamte in Österreich
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278 VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes vertretenen Königreiche und Länder“, so erstaunen Umfang und Details, die für alle bürokratischen Eventualitäten vorsorgten. Und gerade die Regeln für den Staatsdienst und die Staatsdiener sind bis in das Kleinste ausgearbeitet.604 Doch genügten die Gesetze, Verordnungen, Erlässe und Normen, der modernen Welt gerecht zu werden? Bis in die letzten Jahrzehnte des monarchischen Systems stand dieses lange gewachsene bürokratische System einer Modernisierung durch die Beamtenschaft nicht im Wege. Sie führten diese in ihrem Sinne durch. Wir ha- ben allerdings den Eindruck, dass es nach der Jahrhundertwende angesichts der neuen Probleme schwerfällig geworden war. Die Beamten hatten mit ihrer we- sentlichsten Aufgabe, mittels der altgedienten Methoden Ordnung in Staat und Gesellschaft herzustellen, zurande zu kommen. Sie hatten darüber hinaus die un- dankbare Aufgabe, das System weiterhin zu symbolisieren, ihm Glanz und Glorie zu verleihen. Zumindest die bürokratischen Eliten erwecken den Eindruck, dass sie damit umzugehen wussten, indem sie eben nicht dem Idealtypus eines gu- ten Beamten entsprachen. Dazu gehörte, dass sie die Normen nicht buchstaben- genau nahmen, sondern selbst interpretierten und daher auf ihre Art Lösungen fanden. Einige von Friedrich Kleinwaechters, Robert Ehrharts oder Erich von Kielmanseggs unorthodoxen „Lösungsansätzen“ von bürokratischen Problemen wurden bereits angeführt.605 Ein Beispiel von einer originellen Handhabung einer vorgesehenen Regel, die nicht eingehalten wurde, liefert uns der Sozialdemokrat Friedrich Stampfer, spä- ter Redakteur des Organs der sozialdemokratischen Partei „Vorwärts“. Stampfer hatte den Text einer nicht schriftlich vorbereiteten Versammlungsrede vor Sozial- demokraten, einer bis zu Koerbers Ministerpräsidentschaft intensiv kontrollierten Partei, nicht vorschriftsmäßig der Polizei zur Genehmigung vorgelegt, die Frist war versäumt. Er sei, so Stampfer, zum zuständigen Polizeikommissär geeilt, um seinen Text mündlich zu Protokoll zu geben. Doch Polizeikommissär Dr. Navra- til meinte, er als alter Beamter wisse ohnehin, was in solch einer Rede zu stehen habe, schrieb eine schwungvolle Revolutionsrede nieder, die der verdutzte Stamp- fer nur mehr zu unterschreiben hatte. Dr. Navratil war als überwachender Beam- ter bei der Versammlung anwesend und wartete, so Stampfer, ob er vielleicht eine Anleihe bei seinen Formulierungen genommen habe.606 Solche Umgehungen, die 604 Vor allem im Band 1. 605 Siehe Kapitel „Typisch ,josephinische‘ Beamteneliten“. 606 FRIEDRICH STAMPFER, Erfahrungen und Erkenntnisse (Köln 1957), S. 18 f., bei SCHI- METSCHEK, Der österreichische Beamte, S. 207 f.
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Josephinische Mandarine Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Josephinische Mandarine
Subtitle
Bürokratie und Beamte in Österreich
Author
Waltraud Heindl
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2013
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78950-5
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
336
Keywords
Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
Categories
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Table of contents

  1. Vorwort 11
  2. I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
    1. 1. Theoretische Überlegungen 17
    2. 2. Die zwei Realitäten der Bürokratie 24
    3. 3. Definitionen, Details und Daten 26
  3. II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
  4. III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
    1. 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
    2. 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
    3. 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
    4. 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
    5. 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
  5. IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
    1. 1. Wandel der politischen Strukturen 85
    2. 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
    3. 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
    4. 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
    5. 5. Nationale Illustrationen 106
    6. 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
    7. 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
    8. 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
    9. 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
    10. 10. Generationenkonflikte um 1900 160
  6. V. Das soziale Umfeld 165
    1. 1. Beamte und bürgerliche Gesellschaft 165
    2. 2. Der Alltag im bürokratischen Leben oder die kleinen großen Unterschiede 168
      1. Soziale Distinktionen: Ausbildung, Karriere und Rekrutierung 170
      2. Äußere Zeichen – Für und Wider die Beamtenuniform 177
      3. Umgangsformen im Amt 180
      4. Arbeitszeit und Amtsräume 184
      5. Amtsroutine, Akten und bürokratische Skurrilitäten 187
    3. 3. Verbindende Gemeinsamkeiten – Amtsstil, Kanzleisprache und die Architektur der Amtsgebäude 190
    4. 4. Der private Alltag – das symbolische Kapital 198
      1. Amtsroutine im Privatleben? 198
      2. Bürgerlicher Lebensstandard?
      3. Die Grundbedürfnisse Essen und Wohnen 200
      4. Die Beamtenfamilie: Intimität und Öffentlichkeit 209
      5. Die „gut-bürgerliche“ Gesellschaft – Private Netzwerke 221
      6. Freizeitgestaltung als Netzwerkbildung 229
  7. VI. Inszenierungen 235
    1. 1. Literarische Inszenierungen – Fremdbilder 235
    2. 2. Selbstinszenierungen – Selbstzeugnisse 244
  8. VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
    1. 1. Typisch „josephinische“ Beamteneliten? 253
    2. 2. „Andersgläubige“, Sozialdemokraten und Künstler – ungewöhnliche josephinische Beamte? 260
    3. 3. Ein anderer ungewöhnlicher Beamter – Dr. Ludwig Ritter von Janikowski 267
  9. VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277
    1. Anhang 285
    2. Bildnachweis 285
    3. Abkürzungsverzeichnis 286
      1. I. Die Verwaltung und Organisation des österreichischen Kaiserstaates 287
      2. II. Entwicklung der Gehälter der höheren Beamten nach den Gehaltsreformen 288
    4. Quellen-und Literaturverzeichnis 290
    5. Archivalische Quellen 290
    6. Gedruckte Quellen 291
    7. Autobiografische Schriften 295
    8. Ausgewählte Roman- und Dramenliteratur 298
    9. Sekundärliteratur 299
    10. Sachregister 313
    11. Namenregister 317
    12. Ortsamenregister 321
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