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VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes
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der Couleur und jeder Nation offen oder versteckt zu kämpfen, um so den Staat
trotz aller Widrigkeiten und zerstörerischen Tendenzen der Parteien- und Nati-
onalitätenwirren irgendwie funktionsfähig zu halten. Dazu kamen ihre eigenen
Probleme: Sie waren selbst Partei als (nationale) Wähler, hatten andererseits den
Staat als Gesamtheit zu repräsentieren, und – nicht zu vergessen – sich für die Ver-
besserung ihres Standes, ihrer jeweils eigenen Karrieren und Lebensbedingungen
einzusetzen. Angesichts dieser komplizierten Situation reichte das herkömmliche
bürokratische System zur Bewältigung der extremen Probleme nicht mehr aus.
Die Bürokratie hatte adäquate Antworten auf diese bis dato unbekannten Heraus-
forderungen zu geben.
Die Vorwürfe, die Beamte von Zeitgenossen ernteten, „höflich zu tempo-
risieren“,611 das heißt, entweder die Zeit für sich und eine Lösung so mancher Pro-
bleme arbeiten zu lassen oder mit unkonventionellen Mitteln – etwa dem stillen,
aber stilvollen Übergehen von vorgeschriebenen Normen – zu arbeiten, bedeu-
teten aber zugleich, dass die bürokratischen Eliten Flexibilität zeigten, mit dem
unvollkommenen Apparat den komplizierten Fragen in Staat und Gesellschaft
der späten Monarchie gerecht zu werden. Wenn den Beamten nicht die besten,
aber dennoch (für den Moment) nützliche Lösungen gelangen – und sie selbst
waren überzeugt von dieser Kapazität –, so trugen sie durch eine längere Periode
entscheidend zur Erhaltung des Staates und einer einigermaßen funktionierenden
Gesellschaft bei – trotz ihren Schwächen und Unzulänglichkeiten, die ihnen mit
einigem Recht vorgeworfen wurden.612 Die bürokratischen Eliten wussten darum!
Sie bezogen daraus ihr Selbstbewusstsein.
Die schlimmste Krankheit, die der Bürokratie Cisleithaniens anhaftete, war
nicht Immobilismus, sondern die zwar strikte, aber zu schematische und daher
wirkungslose Kontrolle „von oben“ und der allzu ausgeprägte „Esprit de Corps“
nach außen und innen, wenn es darum ging, Unzukömmlichkeiten zu vertuschen
oder soziale oder dienstliche Privilegien zu erreichen. Dank dieses Korpsgeistes,
dem schwerlich beizukommen war, wurde allerdings die Geschichte der Bürokra-
tie im monarchischen Verfassungsstaat zu einer Erfolgsstory. Die Beamten waren
am Ende der monarchischen Periode finanziell besser gestellt als 1848, es war ih-
nen gelungen, ihre Privilegien auszubauen, und zumindest die bürokratischen Eli-
ten genossen beträchtliche Reputation in der Öffentlichkeit, auch wenn vor allem
611 FRIEDLÄNDER, Letzter Glanz der Märchenstadt, S. 75.
612 Zu Kritik und Funktionsfähigkeit der österreichischen Bürokratie vgl. HEINDL, Bureaucracy,
Officials, S. 55 f.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277