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VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes
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bildeten bezüglich der „Nationalitätenfrage“ eine Ausnahme. Sie wussten um ihr
elitäres Privileg anational zu denken, das ihrem Selbstbewusstsein und ihrem Ruf
zugutekam. Sie waren im Eigentlichen das Ergebnis einer besonderen etatistischen
Kultur, die in Österreich durch Traditionen prägend wirkte.
Institutionen und Mentalitäten besitzen bekanntlich ein großes Beharrungs-
vermögen. Sie ändern sich sehr langsam. Doch, wie bereits eingangs mit Norbert
Elias’ Befund angedeutet, die Personen in den Institutionen ändern sich. Das gilt
auch für die österreichischen Bürokraten. Auch bei ihnen ist im sozialen Gefüge
des Beamtenapparates ein entscheidender Wandel festzustellen.
Um 1900 war eine neue Generation herangewachsen, die deutlich auf eine Än-
derung des bürokratischen Systems sowie auf die Verbesserung ihrer Rechte poch-
te.614 Die überkommene Bürokratie mag den neuen Kollegen, die wie Janikowski
auf Moderne und Veränderung eingestellt waren, als skurriles Relikt einer vormo-
dernen Zeit erschienen sein. Doch das wichtigste Element, dass die Institution
nach wie vor Garant der Rechtsstaatlichkeit zu sein und wichtige Aufgaben der
Modernisierung zu bewältigen habe, wurde nach wie vor nicht infrage gestellt.
Die entscheidende neue Entwicklung scheint mir im Verhältnis der Beamten-
schaft zur Politik zu liegen: Waren die Beamten bei Ausbruch der Revolution von
1848 im absolutistischen Staat noch – mehrheitlich – „gehorsame Rebellen“615 ge-
wesen, so machten sie im konstitutionellen Staat handfeste Politik. Es sei daran
erinnert, dass in der Zeit zwischen 1861 und 1916 von 157 Ministern 70, also fast
die Hälfte, aus dem Beamtentum kamen. Von 26 Ministerpräsidenten wurden
17, etwa zwei Drittel, aus der Bürokratie rekrutiert.616 Eines der wichtigsten Mi-
nisterien der Monarchie, das Finanzministerium, wurde zwischen 1848 und 1914
von 26 Ministern geleitet. Alle 26 kamen aus dem Beamtentum, rechnet man die
(wenigen) hohen Bankchefs, die zwei bis drei Diplomaten und die Universitäts-
professoren (viele hatten eine Doppelkarriere eingeschlagen) mit ein.617 Separieren
wir sie, so bleiben immer noch gute vier Fünftel der Finanzminister, die aus dem
614 Siehe Kapitel „Generationenkonflikte“.
615 Siehe Kapitel „BÜROKRATIE UND BEAMTE – EINE SPURENSUCHE“.
616 ALO�S FREIHERR von CZEDIK, Zur Geschichte der k. k. Ministerien 1861–1916, Band, 1.
Zeitabschnitt: 1861–1893 (Teschen 1917), S. 12 f.; SCHIMETSCHEK, Der österreichische Be-
amte, S. 185; URBANITSCH, Vom „Fürstendiener“ zum „politischen Beamten“, S. 154, gibt
vier Fünftel aller Minister an, die aus der Hochbürokratie kamen, er beruft sich auf CZEDIK,
Geschichte der k. k. österreichischen Ministerien, Band 4: Zeitabschnitt 1908 –1916 (Teschen/
Wien/Leipzig 1922) , S. XV f.
617 Gezählt nach den Biografien der österreichischen Finanzminister von WOLFGANG FRITZ,
Für Kaiser und Republik. Österreichs Finanzminister seit 1848 (Wien 2003).
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277