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Berufsständische Konzepte waren seit dem 19. Jahrhundert in der Tat
weit verbreitet.173 In Meyers Konversationslexikon von 1897 begegnet der
Begriff „Stände“ als „Bezeichnung für die verschiedenen Klassen (sic!) von
Personen, welche durch Gemeinsamkeit eines Berufes verbunden sind“.174
Manche Verfechter dieser Leistungsgemeinschaften betonten deren „neu-
ständischen“ Charakter, der sich von den „altständischen“ Vorstellungen un-
terscheide, legten also Wert darauf, für eine gesunde Variation des liberalen
Zeitgeists einzutreten.175 In der Zwischenkriegszeit wurde die korporative
Ordnung der Gesellschaft propagiert, wobei drei Varianten auszumachen
sind: eine katholisch-konservative, eine autoritär-charismatische und eine
sozialdemokratische (Rätebewegung).176
In vorliegender Studie gilt das Augenmerk vornehmlich der katho-
lisch-konservativen Ständelehre. Johannes Messner, einer der führenden
Theoretiker des österreichischen Ständestaates, setzte den Fokus auf die
Berufsstände.177 Das LThK/I definierte „Stand“ als Leistungsgemeinschaft
zum Zweck der „kulturellen Wertverwirklichung“; für den Berufsstand gelte
dies in unmittelbarer, für Lebens-, Geburts- und Besitzstände in mittelbarer
Weise.178 Besondere Relevanz besaß dieser Gedanke für jene, die im Zuge
der politisch-gesellschaftlichen Krise nach dem Ersten Weltkrieg die parla-
mentarische Demokratie in Frage stellten, weil sie sie als Derivat der Ereig-
nisse von 1789 betrachteten.179 Die als Alternative in den Raum gestellten
Konzepte erklärten den Gesellschaftsvertrag für obsolet und begünstigten
autoritäre Systeme.180 Im Bewusstsein, in einer gefährdeten sozialen Ord-
nung zu leben, griff man auf Modelle der Vergangenheit zurück, die eine
harmonische, allerdings wirklichkeitsferne Ordnung auf der Basis natürli-
cher gesellschaftlicher Hierarchien versprachen.181
Betreffend die politische Alternative zum Parlamentarismus herrschte
freilich eine begriffliche Verwirrung, der selbst die Hauptakteure nicht ganz
entkamen, indem sie zwischen Ständen als autonomen sozialen Organen
und als Organen des öffentlichen Rechts nicht unterschieden, geschweige
173 mayer-tasch, Korporativismus, 25 f.
174 Zit. nach bohn, Ständestaatskonzepte, 30.
175 bohn, Ständestaatskonzepte, 19 f.
176 reitmayer, Politisch-soziale Ordnungsentwürfe, 52 f.; seefried, Reich, 115 f., 137–142 und
408 f.
177 messner, Ordnung, 17.
178 LThK/I 9 (1937), 768 f. (G. Gundlach).
179 Zu den Problemen der Friedensordnung von 1919/20 vgl. prägnant Gehler, Europa, 122;
zum Krisenempfinden seefried, Reich, 31–35.
180 hanisch, Auf der Suche, 142.
181 P. nolte, Die Ordnung, 159–161.
1.2 STAND: DER BEGRIFFLICHE AUSGANGSPUNKT 37
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580