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Nach 1918
„Berufsstand“ oder „Stand“? - Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
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etwas verloren zu haben, einfloss. Unterschwellig kam eine gewisse „Sehn- sucht“ nach der Zeit vor 1789 zum Ausdruck. In manchen Fällen ging diese mit der Tendenz einher, Ereignisse der Vergangenheit verkürzt zu sehen.204 Mehr als Fakten interessiert also die Mentalität der Wortführer des ge- sellschaftlichen Diskurses bzw. der Personen, die politische Weichenstel- lungen vornahmen. Es wird versucht, in Tiefenschichten des Bewusstseins vorzudringen205, auch in den Bereich unhinterfragten Meinungswissens und unreflektierter Grundannahmen über die soziale Welt, dessen, was Pierre Bourdieu als Doxa bezeichnet hat: Erst durch dieses Wissen werde den Men- schen der Glaube an die Existenz distinkter sozialer Gebilde – eben auch Stände – vermittelt.206 Der Soziologe Theodor Geiger unterschied die Menta- lität als geistig-seelische Haltung von der Ideologie als geistigem Gehalt.207 Bei autoritären Regimes zog er den Begriff „Mentalität“ dem der „Ideologie“ vor, weil sie kaum intellektuell ausgearbeitet und strukturiert seien: Denn Mentalität sei psychische Voraussetzung, Ideologie hingegen Reflexion.208 Noch weiter ging José Ortega y Gasset: „Will man den Menschen genauer er- kennen, muss man in die Schicht der ‚Glaubensgewissheiten’ vorstoßen, sei- ner profunden Selbstverständlichkeiten, die er kaum bewusst denkt, die er aber lebt, ja, die er ist.“209 Im gegenständlichen Fall ist besonders eine 1934 von Johann Kleinhappl SJ, einem bislang wenig rezipierten konservativen Kapitalismuskritiker210, getätigte, in Österreich publizierte Äußerung hilf- reich: „Wollen wir den ständischen Gedanken richtig erfassen, so müssen wir von der Wesensart des Menschen selbst ausgehen.“211 Eine feste argumentative Stütze dieses Konzepts ist das mit Bleibende Stände überschriebene und mit dem Untertitel Ich dien212 versehene Buch des als Chemiker in der Industrie tätigen Wolfgang Höfler, der rund vier Jahrzehnte nach dem Ende des Ständestaates seinem Unmut über den aus dem Westen sich ausbreitenden „Stoffglauben“ Ausdruck verlieh. Seit die ersten Ansätze freier Marktwirtschaft wirksam geworden seien, habe sich 204 Vgl. hierzu grundsätzlich GheZZi, Nostalgia, 58. 205 vester, Kollektive Identitäten, 11. 206 reitmayer, Politisch-soziale Ordnungsentwürfe, 45 f. 207 Zit. nach raulff, Mentalitäten-Geschichte, 10. 208 linZ, Regime, 132. 209 Zit. nach raulff, Mentalitäten-Geschichte, 10. 210 Zu seiner Person vgl. Anhang 10.4. 211 CS 23. 12. 1934 (J. KleinhaPPl SJ). 212 Das Helmkleinod im Wappen des Prince of Wales enthält ein Spruchband mit dem Wahl- spruch „Ich dien“. Diesen deutschen Spruch hatte Edward of Woodstock der Legende zu- folge nach der Schlacht von Crécy (1346) aus dem Wappen des getöteten Königs Johann von Luxemburg übernommen, der für die Zeitgenossen der Inbegriff ritterlicher Tapferkeit war; höfler, Bleibende Stände, 23. 1.3 DAS ARBEITSVORHABEN 41
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„Berufsstand“ oder „Stand“? Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
Title
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Subtitle
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
Author
Erika Kustatscher
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien - Köln - Weimar
Date
2016
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20341-4
Size
17.4 x 24.6 cm
Pages
682
Keywords
Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
Categories
Geschichte Nach 1918

Table of contents

  1. Vorwort 11
  2. Abkürzungen und Siglen 17
  3. 1. Das Erkenntnisinteresse 19
    1. 1.1 Die geltende Meistererzählung – und was sie offen lässt 20
    2. 1.2 Stand: Der begriffliche Ausgangspunkt 33
    3. 1.3 Das Arbeitsvorhaben 38
  4. 2. Zur Methode 45
    1. 2.1 Der diskursanalytische Ansatz 45
    2. 2.2 Literarische und autobiographische Texte 52
    3. 2.3 Das Textcorpus 55
  5. 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
    1. 3.1 Österreich 1918–1938 59
    2. 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
    3. 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
    4. 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
    5. 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
    6. 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
      1. 3.7 Die Verfassung vom 1. Mai 1934 163
    7. 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
    8. 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
  6. 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
    1. 4.1 Das „Erbe“ von 1789: Die Französische Revolution als „Urgrund“ von Individualismus, Liberalismus, Kapitalismus und Marxismus 182
    2. 4.2 Kritik an der parlamentarischen Demokratie 193
  7. 5. Der Mensch ist Person 211
    1. 5.1 Für Freiheit und Menschenwürde 211
    2. 5.2 Individualität versus Individualismus 213
    3. 5.3 Freiheit und Ordnung 215
    4. 5.4 Leben und Geist 227
    5. 5.5 Persönlichkeit und Gemeinschaft 256
    6. 5.6 Kultivierung personaler Werte 265
    7. 5.7 Legitimität versus Legalität 287
  8. 6. Standesbewusstsein 301
    1. 6.1 Semantische Unschärfen 301
    2. 6.2 Exkurs: „Stand“ bei Othmar Spann 303
    3. 6.3 Der Stand und das Standesgemäße 306
    4. 6.4 Adel in der Bewährung 323
    5. 6.5 Bauerntum als Ideal 329
    6. 6.6 Die Familie 354
    7. 6.7 Heimatbewusstsein versus Nationalismus 375
    8. 6.8 Österreichbewusstsein versus Nationalsozialismus 396
  9. 7. Die berufsständische Ordnung 435
    1. 7.1 Vorläufige Begriffsbestimmung 435
    2. 7.2 Die christlich-soziale „Gesellschaftsreform“ aus der Sicht der Mandatare 437
    3. 7.3 Exkurs: Das Genossenschaftswesen 439
    4. 7.4 Aspekte der berufsständischen Ordnung 442
    5. 7.5 Probleme der berufsständischen Ordnung 458
    6. 7.6 Stände jenseits der Berufe 480
  10. 8. Staat und Gesellschaft 487
    1. 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
    2. 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
    3. 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
    4. 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
    5. 8.5 Das Autoritäre 503
    6. 8.6 Schul- und Volksbildung 511
    7. 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
  11. 9. Resümee: status ist ordo 527
  12. 10. Anhang 541
    1. 10.1 Mandatare, die für die Fragestellung der vorliegenden Studie relevante Schriften hinterließen 541
    2. 10.2 Mandatare, die mit eigenen Beiträgen in den genannten Periodika vertreten waren 545
    3. 10.3 Ständetheoretiker 546
    4. 10.4 Verfasser ergänzend herangezogener Texte 553
  13. 11. Quellen und Literatur 580
    1. 11.1 Quellen zur politischen Geschichte 580
    2. 11.2 Zeitgenössische Periodika 581
    3. 11.3 Monographische Arbeiten und vermischte Beiträge der Mandatare 595
    4. 11.4 Ständetheoretische und ähnliche Arbeiten 601
    5. 11.5 Ergänzende Quellen 603
    6. 11.6 Forschungsliteratur 607
    7. 11.7 Internetquellen 664
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