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hen – vornehmsten Aufgabe des Historikers, der, will er nicht zum Richter
werden, niemals die Maßstäbe der eigenen Zeit auf die Vergangenheit über-
tragen darf.43 Es wäre nicht statthaft, von den Protagonisten der dreißiger
Jahre ein Wertbewusstsein zu verlangen, das erst später entstand.44 Skinner
hielt es für eine Form von Borniertheit, wenn ein Forscher versucht, den
Sinn eines Werkes aus seinem eigenen Blickwinkel zu bestimmen.45
Das Corpus ist somit weit mehr als lediglich eine Datenbasis. Seine Bil-
dung lässt sich von der Fragestellung nicht trennen, ja konkretisiert diese
laufend; sie setzt eine Vorkenntnis des Inhalts der Texte voraus, beruht auf
Erwartungshaltungen, die dem historischen Bewusstsein der Gesellschaft
Rechnung zu tragen versuchen, kurz: auf einem Vorurteil im Sinn Gada-
mers.46 Dieses kann der Erkenntnis zwar auch hinderlich sein, wie insbeson-
dere Skinner zu bedenken gab47, ist letztlich aber der eigentlich konstitutive
Akt der Forschung.48 Nicht zufällig vermieden es sowohl Skinner als auch
Pocock, eine systematische Methode für das Studium der Begriffe vorzuge-
ben, die ihre Diskurse konstituierten.49 Auch im gegenständlichen Fall wird
zwischenmenschliche Kommunikation als kreativer Prozess verstanden, der
keinem festen Regelwerk unterliegen kann.50
Corpusbildung und -analyse sowie Analyse des Kontexts erfolgen daher
parallel; Diskurs und Einzelaussage werden als unentwirrbar ineinander
verschlungen betrachtet.51 Einer der leitenden Gesichtspunkte ist die Unter-
scheidung zwischen dem analytical and constructed context und dem natural
and reconstructed context: Nur Letzterer kann als Bezugspunkt gelten, weil
er für eine hermeneutische Sichtweise von Text und Kontext geeignet ist,
während Ersterer mit zu Klischees erstarrten Kategorien operiert.52
Diskursanalyse im Sinn der Cambridge School ist eine „weiche“ Methode,
die auf der permanenten Überprüfung der Richtigkeit der Wahl des einzel-
nen Textes innerhalb des Ganzen beruht.53 Mit Blick auf Skinner und Pocock
ist heute allerdings umstritten, inwieweit sie die von ihnen entwickelte Me-
43 So etwa in der jüngsten aus einseitig sozialdemokratischer Perspektive erfolgenden Verur-
teilung des Schulsystems des Ständestaats; Gober, Schule, passim.
44 Kindermann, Österreich, 103 und 351.
45 sKinner, Bedeutung, 81.
46 Gadamer, Hermeneutik 1, 276–290; vgl. harlan, Der Stand, 189.
47 sKinner, Bedeutung, 66; vgl. harlan, Der Stand, 165–167; Palonen, Entzauberung, 71.
48 busse/teubert, Diskurs, 15 f.; landwehr, Historische Diskursanalyse, 102 f. und 110; M.
richter, Zur Rekonstruktion, 166.
49 M. richter, Zur Rekonstruktion, 161.
50 hellmuth/von ehrenstein, Intellectual History, 169 f.
51 landwehr, Geschichte des Sagbaren, 108–111 und 130.
52 hellmuth/von ehrenstein, Intellectual History, 167.
53 busse/teubert, Diskurs, 18. 2. ZUR
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580