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die Wirtschaftskrise. 1922 sicherte er Österreich eine internationale Anleihe
– mit der Auflage allerdings, im Sinne der Friedensordnung von Saint-Ger-
main auf einen Anschluss an Deutschland zu verzichten.9 Das „Szenario der
Krisen“ (E. Hanisch) ging freilich weit über das rein Wirtschaftliche hinaus,
bis hin zur Frage nach der Lebensfähigkeit der Republik.10
Ab 1923 musste die vormals mächtige CSP, die seit 1907 im Reichsrat
auch katholisch-konservative Bevölkerungsschichten vertrat11, bei Wahlen
Verluste hinnehmen.12 1929 kulminierte die Wirtschaftskrise im Sog des
Börsenkrachs an der Wall Street. Die Folgen waren eine sprunghaft stei-
gende Arbeitslosigkeit und soziale Spannungen13, allesamt Faktoren, die,
von den österreichischen Regierungen nicht genügend ernst genommen, die
Nationalsozialisten stärkten.14 1932 gewann Bundeskanzler Engelbert Doll-
fuß den Völkerbund zu einer weiteren Anleihe für Österreich; das Anschluss-
verbot wurde um zehn Jahre verlängert.15
In dieser Situation erhoben viele Zeitgenossen ideologische Ausschließ-
lichkeitsansprüche; mit den Grundlagen der Demokratie wenig vertraut,
verwechselten sie Opposition mit Feindschaft und bauten entsprechende
Bilder des jeweiligen politischen Gegners auf.16 In der politisch-historischen
Diskussion hat sich der militaristisch anmutende Begriff „Lager“ etabliert:
Hier wurden Totalentwürfe des Lebens vorgegeben; jeder wollte nur mehr
mit „eigenen“ Leuten verkehren und legte Wert auf Abgrenzung vom ande-
ren.17 Die Sozialdemokraten bauten eine umfassende Organisationskette auf
9 P. berGer, Im Schatten, 20–25; GoldinGer/ binder, Geschichte, 106–116; K. v. KlemPerer,
Ignaz Seipel, 102–104; weinZierl, Zeitgeschichte, 211 f.; wohnout, Bürgerliche Regierungs-
partei, 193.
10 hanisch, Der lange Schatten, 306–309.
11 iber, Vom Syllabus, 31–38; staudinGer, Österreich-Ideologie, 29; wandrusZKa, Struktur,
312 f.; wohnout, Bürgerliche Regierungspartei, 181.
12 Übersicht über die Nationalratswahlergebnisse 1919–1930 bei Gärtner/Pallaver, Liberale
Parteien, 172.
13 brandtner, Diskursverweigerung, 35–37; erneGGer, Staatliche Sozialpolitik, 56 f. und
62–68; Geider, Sozialabbau, 34–64 und 78–89; GoldinGer/binder, Geschichte, 134 f.; ha-
nisch, Der lange Schatten, 67; Pasteur, Kruckenkreuz, 21–24 und 151–159; reichhold, Ge-
schichte, 508–510; schmit, Christliche Arbeiterbewegung, 50–52; tálos, Zum Herrschafts-
system, 149 f.; tálos, Handbuch, 18–21 (H. fassmann); tálos, Herrschaftssystem (2013),
359–379.
14 K. bauer, Elementarereignis, 134 und 144.
15 P. berGer, Im Schatten, 244–249; GoldinGer/binder, Geschichte, 195–197; JaGschitZ, Doll-
fuß, 198; konzise Darstellung der wirtschaftspolitischen Maximen der Bundesregierung bei
tálos, Herrschaftssystem (2013), 313–333; weinZierl, Zeitgeschichte, 219 f.
16 Gärtner/Pallaver, Liberale Parteien, 171; hanisch, 1934, 18; hanisch, Traditionelle Männ-
lichkeitsrollen, 220; newman, Zerstörung, 296; PelinKa, Stand, 11–13.
17 hanisch, Demokratieverständnis, 74; hanisch, Dilemma, 107; hanisch, Der lange Schatten,
3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN60
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580