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Basis, Führungspositionen bekleideten Akademiker. An der Spitze stand
seit September 1930 Ernst Rüdiger Fürst Starhemberg, ein Angehöriger der
Hocharistokratie.27 Die Heimwehr kann indes keinesfalls mit dem christ-
lichsozial-konservativen Österreich identifiziert28 oder gar als „Bewegung im
altösterreichischen Sinne“29 bezeichnet werden, sie wurde in diesen Kreisen
eher als Instrument zur Beförderung eigener Interessen verstanden.
Im Besonderen gilt dies für Bundeskanzler Ignaz Seipel. Dieser hatte
1927, als aus einem Schusswechsel mit Angehörigen des Schutzbunds ein
Bürgerkrieg entstanden war, der die Heimwehr weiter erstarken ließ30,
eine Unbeugsamkeit an den Tag gelegt, die ihm den Ruf des „Prälaten ohne
Milde“ einbrachte.31 Er sah in dem Wehrverband – jedenfalls anfänglich32
– eine Hilfe, sein Konzept der „wahren Demokratie“ zu verwirklichen33, be-
diente sich selbst aber „kultivierterer“ Formen.34 1929 trat er zurück, be-
einflusste die Politik aber weiterhin in antiparlamentarischem Sinn.35 Die
in diesem Jahr verabschiedete Verfassungsnovelle – mit einer Machtver-
schiebung vom Parlament zum Bundespräsidenten – war von der Heimwehr
entscheidend mitgestaltet worden, die ihrerseits unter dem Druck Italiens
stand36, von wo bereits seit der Gründung finanzielle Hilfe kam.37
491; stimmer, Eliten, 718–722; tálos, Handbuch, 265–268 (C. Earl edmondson); wilt-
scheGG, Heimwehr, 23–37.
27 brucKmüller, Sozialgeschichte, 413; burKert-dottolo, Das Land, 93; steKl, Zwischen
Machtverlust und Selbstbehauptung, 165; stimmer, Eliten, 728–733; tálos/manoscheK,
Konstituierungsprozess, 7–9; tálos, Herrschaftssystem (2013), 12 f.; wandrusZKa, Struk-
tur, 362.
28 carsten, Faschismus, 223–227; KluGe, Ständestaat, 32–43.
29 newman, Zerstörung, 298.
30 marschniG, Militarisierung, 60–62; Details bei botZ, Gewalt, 107–111 und 141–160.
31 GoldinGer/binder, Geschichte, 150; rathKolb, Erste Republik, 492 f.; weinZierl, Zeitge-
schichte, 214–216; Zöllner, Geschichte Österreichs, 507.
32 Später distanzierte er sich; simon, Die verirrte Erste Republik, 91.
33 v. hildebrand, Engelbert Dollfuß, 9; vgl. GoldinGer/binder, Geschichte, 154; tálos, Herr-
schaftssystem (2013), 15–19.
34 Zöllner, Geschichte Österreichs, 508.
35 boyer, Wiener Konservativismus, 347; K. v. KlemPerer, Ignaz Seipel, 108–110 und 113–
116; wohnout, Bürgerliche Regierungspartei, 196.
36 hasiba, Verfassungsnovelle, passim; Jabloner, Wenigstens formale Kontinuität?, 99 f.;
KluGe, Ständestaat, 24 f.; rathKolb, Erste Republik, 479 f. und 496 f.; tálos, Zum Herr-
schaftssystem, 148; tálos, Handbuch, 51–53 (O. lehner); tálos, Herrschaftssystem (2013),
17; tálos/manoscheK, Konstituierungsprozess, 10; wohnout, Anatomie, 965.
37 britZ, Die Rolle, 7; Gehler, Politischer Wandel, 41; Kriechbaumer, Erzählungen, 550–586;
marschniG, Militarisierung, 6–14; orlando, Rolle, 17 f. und 24; Payne, Geschichte, 303;
schmölZer, Beziehungen, 4–6; scholZ, Italienischer Faschismus, 425; tálos, Zum Herr-
schaftssystem, 143 und 152; wiltscheGG, Heimwehr, 34–99; wiPPermann, Europäischer Fa-
schismus, 80–86; wiPPermann, Faschismus, 69; woller, Rom, 93.
3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580