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Der wachsende Druck des Deutschen Reichs auf Österreich kulminierte
am 11. Juli 1936 in einem Abkommen, in dem sich Schuschnigg zu einer
weitreichenden Berücksichtigung deutscher Interessen verpflichtete.254
Formell handelte es sich um einen Nichteinmischungspakt, in Wirklichkeit
wurde der „Anschluss“ antizipiert.255 Der österreichischen Verhandlungs-
delegation gehörte u. a. Guido Zernatto an. Edmund Glaise von Horstenau,
einer der prominentesten Repräsentanten der sogenannten „betont Nati-
onalen“, war in die Vorbereitungen eingebunden.256 Im Zuge der anschlie-
ßenden Regierungsumbildung wurde er ins Kabinett Schuschnigg aufge-
nommen257; das Innenministerium erhielt Arthur Seyss-Inquart.258 Obwohl
Schuschnigg bereits unmittelbar nach dem Abschluss des Abkommens an
der „Ehrlichkeit des Partners“ zweifelte und sich weiterhin vom National-
sozialismus distanzierte259, geriet er in die Kritik.260 Leopold von Andrian
schob die Verantwortung schlechten Ratgebern des Kanzlers zu; er wusste
auch von Überlegungen, diesen durch Richard Schmitz abzulösen.261 Otto
von Habsburg teilte Schuschnigg seine Bedenken in einem ausführlichen
Schreiben mit.262
Selbst zu einer Politik wie der der Nationalsozialisten nicht fähig, schätzte
der Kanzler deren Ziele und Methoden falsch ein; daher verfehlten seine Be-
schwichtigungsversuche ihr Ziel.263 Seine insgesamt eher zaudernde Außen-
politik nährte sich nicht zuletzt von der Hoffnung auf Internationalisierung
des Problems264, wird heute aber eher einem Wunschdenken als realistischen
Einschätzungen zugeschrieben.265 Am 12. Februar 1938, bei einem Treffen
mit Hitler in Berchtesgaden, stand er vor vollendeten Tatsachen:266 Er konnte
254 binder, Der „Christliche Ständestaat“, 220 f.; Potočnik, Bewusstsein, 209–211; seefried,
Reich, 46–48; G. stourZh, Außenpolitik, 329–331; stuhlPfarrer, Außenpolitik, 332 f.;
tálos, Herrschaftssystem (2013), 66 und 506–518; weinZierl, Zeitgeschichte, 232 f.
255 P. berGer, Kurze Geschichte, 182–184; binder, „Austrofaschismus“, 582; GoldinGer, Schu-
schnigg, 226; GoldinGer/binder, Geschichte, 258–264; hoPfGartner, Schuschnigg, 169–173;
KluGe, Ständestaat, 14 und 95 f.; tálos, Zum Herrschaftssystem, 159.
256 Kriechbaumer, Front, 360; Potočnik, Bewusstsein, 212–216; tálos, Herrschaftssystem
(2013), 502–505; wohnout, Verfassungstheorie, 564 f.
257 brouceK, Ein General II, 11; slaPnicKa, Oberösterreich, 95 f.
258 hoPfGartner, Schuschnigg, 175; Kriechbaumer, Erzählungen, 623–627; F. müller, Gemein-
sam, 493 f.; neuhäuser, Legitimismus, 73.
259 K. schuschniGG, Requiem, 31; vgl. Kindermann, Der Feindcharakter, 90.
260 binder, Alte Träume, 504; GoldinGer/binder, Geschichte, 268 f.
261 Prutsch/ZeyrinGer, Leopold von Andrian, 602–608.
262 baier/demmerle, Otto von Habsburg, 130–135.
263 Kindermann, Österreich, 329; tálos, Herrschaftssystem (2013), 54–57 und 528 f.
264 binder, „Austrofaschismus“, 582 und 585.
265 binder, „Austrofaschismus“, 589; nach wie vor gültig KluGe, Ständestaat, 128–132.
266 Vgl. den 1945 rückschauend darüber verfassten Bericht; K. schuschniGG, Requiem, 37–52.
3.1 ÖSTERREICH 1918–1938 83
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580