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Bei Richard Kerschagl wird eine gewisse Prägung durch Spann in der Stu-
dentenzeit angenommen, er selbst distanzierte sich aber von ihm.287 Gleich-
wohl publizierte er in den frühen dreißiger Jahren häufig im StL. Dort und
in der SZ verarbeitete er in selbständigen Beiträgen288 und Rezensionen289
das Gedankengut des Meisters. Sein eigenes, 1932 erschienenes Buch De-
visenbewirtschaftung. Ein Abriss ihrer ökonomischen Probleme wurde von
Spann wohlwollend besprochen.290
Auch in der katholischen Soziallehre blieben Spanns Vorstellungen von
der ständischen Ordnung – ungeachtet einzelner kritischer Stimmen – lange
Zeit maßgebend; erst die Enzyklika Mater et Magistra (1961) bewirkte eine
Revision.291 Ein Vermittler seiner Ideen zu christlichsozialen Kreisen war
Ignaz Seipel.292 August M. Knoll nannte Spann den „Theoretiker“, Seipel den
„Politiker des berufsständischen Freiheitsgedankens“.293 In katholischen
Kreisen teilte man Spanns Kritik an Liberalismus und Kapitalismus, nicht
aber seine autoritäre Verherrlichung des Staates auf Kosten des Individu-
ums sowie von Kirche und Familie.294
Es gab aber auch ständischem Denken gegenüber offene Zeitgenossen,
die Spann nicht ernst nahmen: Für jene, die von einer von unten nach oben
führenden Struktur ausgingen, veranschlagte er die Rolle des Staates zu
hoch.295 Edmund Glaise von Horstenau nannte ihn einen „politischen Phan-
tasten“296, und in einem 1930 vor der Grazer Philosophischen Gesellschaft
gehaltenen Vortrag fiel für seine Anhänger das auf bedingungslose Abhän-
gigkeit deutende Wort „Jünger“.297
Gleichwohl gilt Spann als einer der einflussreichsten Denker der Zeit, des-
sen Handschrift auch in der Maiverfassung zu erkennen sei.298 Er selbst di-
stanzierte sich von dieser allerdings, weil sie zu viele Konzessionen an den
Liberalismus enthalte und weil sie den Begriff „Stand“ vornehmlich als „Be-
rufsstand“ verstehe; dem Dollfuß-Regime warf er diktatorischen Charakter
287 B. dachs, Richard Kerschagl, 9–15 und 34.
288 StL 1932, 203–210 (R. KerschaGl); SZ 19. 6. 1927 (R. KerschaGl); 27. 3. 1932 (R. Ker-
schaGl); 4. 3. 1934 (R. KerschaGl).
289 StL 1932, 166 f. und 224 f. (R. KerschaGl).
290 StL 1932, 117 (O. sPann).
291 O. weiss, Rechtskatholizismus, 85.
292 K. v. KlemPerer, Ignaz Seipel, 113;P. nolte, Die Ordnung, 181; wohnout, Regierungsdikta-
tur, 21–23.
293 Knoll, Der soziale Katholizismus, 13.
294 diamant, Katholiken, 123 f.; senft, Im Vorfeld, 60; tálos, Voraussetzungen, 257.
295 becher, Der Blick, 61.
296 Glaise-horstenau, Erinnerungen, 91 f.
297 Kremer, Staatsphilosophie, 5.
298 lacKner, Die Ideologie, 57 f.; schneller, Zwischen Romantik und Faschismus, 110–112.
3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN86
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580