Page - 103 - in „Berufsstand“ oder „Stand“? - Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
Image of the Page - 103 -
Text of the Page - 103 -
sich auswirkende Charakterzüge ein Hang zur Askese und moralischer Ri-
gorismus galten459, forderte von den katholischen Moral- und Sozialphiloso-
phen dezidiert antiliberale und antimaterialistische Standpunkte.460 Kern-
bestand seines Werkes ist die Idee einer übergeschichtlichen, in der Natur
des Menschen begründeten Wirtschaftsordnung, die sich über die moderne
Soziologie hinwegsetzen könne.461 Während Pius XI. manches aus der Oe-
conomia perennis in QA aufnahm, gab es im österreichischen Episkopat,
insbesondere bei Sigismund Waitz, Vorbehalte gegen Orels unerbittliche
Konsequenz.462
1934, vor Bekanntgabe der Maiverfassung463, veröffentlichte Orel die
Schrift Wahre Ständeordnung, ihr Geist, Wesen, Wirken, in der er die For-
derungen von QA in Hinblick auf die im Raum stehende Neugestaltung der
Gesellschaft herausarbeitete. Er fasste darin Kernaussagen seiner umfang-
reicheren Werke und des Katholisch-sozialen Manifests zusammen, darunter
allerdings auch antisemitische Ressentiments.464 QA schätzte er als Impuls
zur Verwirklichung der schon länger bestehenden, in seinen Augen freilich
allzu kapitalistischen ständischen Konzepte, er bedauerte aber, dass klare
Vorstellungen über die Umsetzung fehlten. „Stand“ war für ihn „Berufs-
stand“.465 Dem Beruf räumte er einen überragenden Stellenwert im Leben
ein und betonte das Recht eines jeden auf Arbeit und auf Eigentum.466 Alle
mit dem Kapitalismus verbundenen Haltungen widersprächen dem Begriff
des Berufs467; die moderne „Diesseitsgesinnung“ habe Arbeit und Eigentum
auseinandergerissen und Klassenkampf erzeugt.468
Im November 1935 veranstaltete die Studienrunde in Wien eine Katho-
lisch-soziale Herbsttagung für die wahre Ständeordnung.469 Obwohl Orel ei-
nem natürlich-organischen, familienhaft-ständischen Regierungssystem das
Wort redete und dem Prinzip der Volkssouveränität misstraute470, scheiter-
ten seine Versuche, sich mit dem Ständestaat ins Einvernehmen zu setzen,
er blieb ein unverstandener Einzelgänger.471 Dies dürfte nicht zuletzt an sei-
459 reichhold, Anton Orel, 8.
460 orel, Ständeordnung, 7–11; K. luGmayer, Orel, 19–23.
461 wiesinGer, Anton Orels „Oeconomia perennis“, 71.
462 rambouseK, Daten, 38.
463 orel, Ständeordnung, 5.
464 orel, Ständeordnung, 82–95; vgl. schweitZer, Volkstumsideologie, 93.
465 orel, Ständeordnung, 11–14.
466 orel, Ständeordnung, 16–19.
467 orel, Ständeordnung, 31–34.
468 orel, Ständeordnung, 42 f.
469 KabelKa, Anton Orel, 75–77.
470 reichhold, Anton Orel, 14–16.
471 rambouseK, Daten, 41; reichhold, Anton Orel, 11.
3.4 DIE ENZyKLIKA QUADRAGESIMO ANNO UND DIE KATHOLISCHEN SOZIALTHEORETIKER 103
back to the
book „Berufsstand“ oder „Stand“? - Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit"
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580