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sah. Zwischen Kirche und Staat sollte ein Nahverhältnis bestehen, aber
keine Vermischung erfolgen. Als hohe Werte wurden Föderalismus, eine
monarchische Staatsspitze sowie Familie und Heimat angegeben.971 Im CS
nahm Wladimir R. Zaloziecky auf diese Arbeit Bezug.972
Erwähnung verdient weiters eine 1934 vorgelegte, auf die Schweiz973 be-
zogene Abhandlung von Frank Hofstetter-Leu, in der die Situation in Ös-
terreich mitberücksichtigt wurde.974 Für den dort geplanten Ständestaat
bestanden im westlichen Nachbarland besonders in katholischen Kreisen
große Sympathien.975 Einer der Schwerpunkte war die begriffliche Unter-
scheidung von „Korporation“ und „Stand“: Der erstere Begriff sei in Italien
geläufiger, der letztere eher bei deutschsprachigen Autoren; „Vertreter der
freisinnigen Weltanschauung“ lehnten „Korporation“ ab und sprächen sich
für „berufsständische Ordnung“ aus. Bei aller Verworrenheit der Termino-
logie sah Hofstetter-Leu die für ihn erfreuliche Tendenz, die Begriffe „be-
rufsständisch“ und „syndikalistisch“ einander anzunähern. „Ständestaat“
sei der richtige Begriff, wenn es nicht nur um wirtschaftliche, sondern auch
um staatsrechtliche Verhältnisse gehe; in Österreich, so zitierte er eine
Aussage Otto Enders vom März 1934, habe man mit wirtschaftlichen As-
pekten begonnen, beabsichtige aber den Übergang auf das politische Ge-
biet.976 Walter Adolf Jöhr entwarf 1937 im StL unter dem Titel Ständische
Sittlichkeit das Bild eines elitären Gemeinwesens mit transzendenter Legi-
timation.977
Etwa zur selben Zeit, als Hofstetter-Leu mit seinem Konzept an die Öf-
fentlichkeit trat, fand in Zürich eine Studientagung über die berufsstän-
dische Neuordnung in der Schweiz statt. In Österreich wurde dies mit
Wohlgefallen zur Kenntnis genommen, umso mehr als die Katholiken im
Nachbarland ja eine Minderheit darstellten. Die meisten Parallelen zu den
eigenen Vorstellungen fand man in den Ausführungen von Josef Piller, der
einen Mittelweg zwischen berufsständischer Autonomie und staatlicher
Kontrollfunktion vorgeschlagen habe.978 Es passte ins Konzept des CS, dass
Piller auf die engen Beziehungen der Sozialpolitiker beide Länder hinwies,
971 StL 1934, 418–420 (E. Görlich).
972 CS 15. 4. 1934 (W. R. ZaloZiecKy).
973 Zu ständestaatlichen Ansätzen in diesem Land vgl. Kaestli, Selbstbezogenheit, 193–195
und 209–211; G. KlemPerer, Konzepte; Payne, Geschichte, 376; reinhardt, Kleine Ge-
schichte, 144 f.; simonett, Die berufsständische Ordnung, 66–82.
974 hofstetter-leu, Grundriss, 5.
975 ZauGG-Prato, Die Schweiz, 299.
976 hofstetter-leu, Grundriss, 7–10.
977 StL 1937, 143–152 (W. A. Jöhr).
978 CS 13. 5. 1934. 3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN162
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580