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nen den ganzen Menschen usurpierenden Staat; die Maiverfassung lehne
sich eng an das Staatsgrundgesetz von 1867 an.1087
Ein sehr positives Resultat erbrachte auch die 1935/36 vorgenommene
Analyse der Maiverfassung durch Eric Voegelin.1088 Sein Denken bewegte
sich im Spannungsfeld der grundlegend verschiedenen Charaktere jener bei-
den Lehrer, die ihn am meisten geprägt hatten: Othmar Spann stand für die
Verbindung von Staats- und Verfassungstheorie mit umfassender kulturwis-
senschaftlicher Bildung, Hans Kelsen war der Gewährsmann für die saubere
Methode. In der Substanz hielt Voegelin dessen Auffassung von seinem Fach
aber für verengt. Die Gründe hierfür waren die eigene Prägung durch kon-
servative Denker wie Oswald Spengler oder Arnold J. Toynbee1089 und wohl
auch die philosophische Nähe zum christlichen Personalismus1090 sowie Kel-
sens Nähe zur Sozialdemokratie und die ihm angelastete Blindheit für den
realen Zusammenhang zwischen Staat und Recht.1091 Voegelins Vorbehalte
gegen die „reine Rechtslehre“, die nur das Sollen, nicht das Sein anerkenne,
wandten sich gegen deren positivistischen und neukantianischen Charakter:
Ihm schien, bei Kelsen bestimme die Methode den Gegenstand und nicht,
wie es sein solle, der Gegenstand die Methode.1092 Den positivistischen Men-
schen setzte er mit dem sozialistischen und dem nationalsozialistischen
gleich. Alle drei waren für ihn Vertreter totalitärer Weltanschauungen. Sich
selbst verstand er als Vertreter eines konservativ-katholischen Liberalis-
mus, der sich, um es mit Friedrich Heer auszudrücken, „an der Front des
Menschen“ engagierte.1093
Der autoritäre Staat, eine reife, kulturhistorisch fundierte empirische
Verfassungslehre, in der er die Maiverfassung und ihre geistesgeschichtli-
chen Hintergründe analysierte1094, bot Voegelin Gelegenheit, seine Kritik
an Kelsen zu veranschaulichen.1095 Jahre später, in den Autobiographischen
Reflexionen, bemerkte er dazu, er habe nachzuweisen versucht, dass ein au-
toritärer Staat, der radikale Ideologien in Schach halte, die beste Möglich-
1087 merKl, Individuelle Freiheit, 266–271.
1088 winKler, Geleitwort, XXIV; hoor, Wandlungen, 449 f.
1089 winKler, Geleitwort, IX.
1090 connelly, From Enemy, 155.
1091 winKler, Geleitwort, XXVII; kritisch olechowsKi/staudiGl-ciechowicZ, Staatsrechtslehre,
231.
1092 buKoscheGG, Das ständisch-autoritäre Österreich, 17–21; henKel, Eric Voegelin, 59; neis-
ser, Eric Voegelin, 21–24; winKler, Geleitwort, VI, X–XIII und XVI–XIX.
1093 Zit. nach adunKa, Friedrich Heer, 530 f.
1094 1936 wurde das Werk als wichtiger Beitrag zum Verständnis der Situation Österreichs
gewürdigt; MSchKP 1, 1043 f. (P. berGer).
1095 henKel, Eric Voegelin, 53; winKler, Geleitwort, VII und XV.
3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN174
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580