Page - 194 - in „Berufsstand“ oder „Stand“? - Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
Image of the Page - 194 -
Text of the Page - 194 -
Krieg einen Teil seines Vermögens verloren. Dann hatte er sich zunächst aus
der Politik zurückgezogen.141 Sorge bereitete ihm insbesondere die Entste-
hung von Räterepubliken in Bayern und in Ungarn im Frühjahr 1919.142 Im
heimatlichen Hartenstein (bei Zwickau, Böhmen) hatte er Kämpfe gegen die
Kommunisten erlebt.143 Als die österreichische Regierung im Januar 1918 in
Reaktion auf die damals auf sozialdemokratisches Betreiben veranstalteten
Streiks Vorbereitungen für ein Militärregime getroffen hatte, war Schön-
burg-Hartenstein als Anführer ausersehen gewesen.144
Hans Karl Zeßner-Spitzenberg beschrieb 1938 den für ihn traumati-
schen Zusammenbruch der Monarchie in einem Bericht für die Gestapo.145
Richard Schmitz verband die Frühzeit der Republik mit „sozialistische(r)
Terrorpolitik“ und „proletarische(r) Diktatur“.146 Friedrich Funder behielt
sie als „gesetzlosen Bolschewismus“ in Erinnerung.147 In Kurt Schuschnigg
erweckten die revolutionären Ereignisse von 1918148 den Gedanken an „die
Instinkte der urteilslosen Masse, die bekanntlich jeweils nach der Richtung
des lautstärksten, hemmungslosesten und brutalsten Agitators zu entschei-
den pflegt“.149 Ähnlich lautete der Tenor der weit ausholenden, mit harscher
Kritik an der Sozialdemokratie verbundenen Ausführungen Franz Brandls
über den Spät-herbst 1918.150
Ulrich Ilg erlebte im November 1928 in Wien eine Demonstration der
Sozialdemokratischen Partei und stellte dazu fest: „Die ersten Eindrücke
über die Demokratie in Wien waren nicht gerade erbaulich.“151 Josef Reither
sprach 1933 vom „revolutionären Schutt der letzten Jahre“.152 Ludwig Hül-
gerth erinnerte sich 1934, nach dem Krieg seien „Zweifel an allem Bestehen-
den“ wach geworden, und „einer überspitzten Demokratie war jede Autorität
[...] zum Opfer gefallen. Der Parteienstaat hatte sich selbst gerichtet.“153
141 holub, Fürst Alois Schönburg-Hartenstein, 82.
142 botZ, Gewalt, 45–72; Räterepubliken galten allerdings als wesentlich für die Neubelebung
der ständestaatlichen Idee; bohn, Ständestaatskonzepte, 32.
143 holub, Fürst Alois Schönburg-Hartenstein, 87.
144 holub, Fürst Alois Schönburg-Hartenstein, 36–71; ramhardter, Geschichtswissenschaft,
126.
145 K. P. Zeßner-sPitZenberG, Hans Karl, 41.
146 R. schmitZ, Das christlichsoziale Programm, 26.
147 funder, Vom Gestern, 464.
148 botZ, Gewalt, 25–41.
149 K. schuschniGG, Dreimal, 51; vgl. hoPfGartner, Schuschnigg, 37 f.
150 brandl, Kaiser, 239–326; vgl. botZ, Gewalt, 26.
151 ilG, Lebenserinnerungen, 17.
152 Kriechbaumer, Erzählungen, 59; vgl. auch CS 4. 4. 1937 (H. K. Zeßner-sPitZenberG).
153 CS 16. 12. 1934 (L. hülGerth). 4. DIE POLITISCH-GESELLSCHAFTLICHE
LAGE194
back to the
book „Berufsstand“ oder „Stand“? - Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit"
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580