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Staatsgewalt zu sein“.265 Umso bedenklicher sei es, dass sich eine „Tendenz
zur parlamentarischen Allmacht“ erkennen lasse.266
Leopold Kunschaks demokratische Gesinnung kann nicht zur Debatte
stehen; nur war eben auch für ihn Demokratie nicht an Parlamentarismus
gebunden.267 Denn die im Hohen Haus vertretenen Abgeordneten hätten bei
der Durchführung wichtiger Aufgaben allzu oft versagt.268 Auch seine Vorbe-
halte bezogen sich in erster Linie auf die Parteien. 1934 zitierte er aus einer
Tübinger Rede Seipels vom 16. Juli 1929, in der dieser dargelegt hatte, dass
sich die Parteien nicht als Parlamentsfraktionen verstünden, sondern von
außen hineinregierten.269 Es werde versucht, eine Abhängigkeit der Parla-
mentarier von ihren Instanzen zu schaffen, wodurch Nebenregierungen der
Parteiführer entstünden.270 Für Robert Krasser bedeutete der Parteienstaat
einen „Kampf aller gegen alle“.271 In Richard Kerschagls Augen hatte die
Volksherrschaft versagt, weil sie keine wirtschaftliche Gleichheit hergestellt
habe.272 Karl Flödl sprach von einer „zusammengebrochenen Gesellschafts-
und Wirtschaftsordnung, die den Materialismus in all seinen Erscheinungs-
formen zum tragenden Prinzip erhoben hatte“.273 Alfred Missong wies auf
den Zusammenhang der parlamentarischen Demokratie mit der Hochfinanz
hin, der dazu führe, dass die Abgeordneten mehr die Wünsche ihrer Geldge-
ber als die Bedürfnisse der Wähler berücksichtigten.274
Einen neuen Aspekt brachte Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi in die
Diskussion um die Mängel der parlamentarischen Demokratie ein: Er be-
scheinigte ihr einen geradezu antiliberalen Charakter.275 Dietrich von Hil-
debrand grenzte sie als die „politische“ von der „weltanschaulichen“ ab: Sie
rede „im Namen der Freiheit einer Vergewaltigung des einzelnen durch die
Mehrheit das Wort“.276
265 R. schmitZ, Das christlichsoziale Programm, 28.
266 R. schmitZ, Der Weg, 14.
267 PelinKa, Stand, 42 und 186; schmit, Christliche Arbeiterbewegung, 66.
268 KunschaK, Österreich, 144.
269 seiPel, Der Kampf, 184 f.; vgl. beller, A Concise History, 206; K. v. KlemPerer, Ignaz Sei-
pel, 109; mommsen, Theorie, 177; rennhofer, Ignaz Seipel, 629–633; Kriechbaumer, Erzäh-
lungen, 277; schmit, Christliche Arbeiterbewegung, 82; senft, Im Vorfeld, 49; wohnout,
Die Verfassung, 24; Zöllner, Geschichte Österreichs, 508.
270 KunschaK, Österreich, 109 f.; vgl. födermayr, Vom Pflug, 26; rintelen, Erinnerungen, 184.
271 Krasser, Ständestaat, 5.
272 KerschaGl, Vom Widersinn, 55.
273 flödl, Drei Jahre, 11.
274 SZ 5. 4. 1931 (A. missonG).
275 coudenhove-KalerGi, Totaler Mensch, 53.
276 v. hildebrand, Memoiren, 175; seefried, Reich, 231 f.
4. DIE POLITISCH-GESELLSCHAFTLICHE
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580