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Karl Lugmayer definierte die Person als Geistwesen, das erkennt, ent-
scheidet und will; sie gehe nicht in der physisch-biologischen Erscheinung
auf, sondern stelle den Körper lediglich in ihren Dienst. Im Körperlichen sei
der Mensch den Tieren, im Geistigen Gott ähnlich.261 Auch er widmete dem
Unterschied zwischen Mensch und Tier breiten Raum. Ausführlich nahm er
zu dem 1932 erschienenen Werk Theoretische Biologie von Karl Ludwig von
Bertalanffy Stellung262, eines nach dem „Anschluss“ in Wien habilitierten
Zoologen.263 Schwere Vorbehalte gegen dessen „Verkennung der organischen
Ganzheit“ ließen ihn resümieren: „Von der Biologie aus gibt es keinen Weg
zum Individuum, das heißt zum Ich.“264
Lugmayer unterschied zwischen der unterscheidenden und entscheiden-
den Person und dem vom Unterbewusstsein dominierten Lebewesen. An
dieses werde etwa im Wahlkampf appelliert, weswegen es sich bei einem
solchen um eine Verletzung des Personalitätsprinzips handle: Es sei nicht
rechtens, gewisse Vorstellungskomplexe im Bewusstsein des Wählers zur
Herrschaft zu bringen. Daher müsse sich die Gesellschaftslehre um andere
Formen des Staatsaufbaus als die des allgemeinen Wahlrechts bemühen.265
Für Lugmayer lag im Verhältnis der beiden Pole Geist und Leben zuein-
ander das Kriterium für die Zuweisung des Platzes an jeden Einzelnen im
Kosmos, einem als Stufenfolge definierten, durch unterschiedliche Grade
der Würde gekennzeichneten System, das Teil des Wortnetzes ordo ist.266
Daraus resultieren, proportional zum erreichten Grad an Harmonie und so-
mit an qualifizierenden Charaktereigenschaften, unterschiedliche Grade an
Freiheit der Person – und somit abgestufte politische Rechte.267
Hier schwingt Gedankengut von Othmar Spann mit: Dieser sah die Un-
terschiede zwischen den Ständen im Geistigen und definierte sie je nach
ihrer Hinordnung zum Ganzen: Die geistig höheren Stände sollten die nie-
deren führen.268 An der Spitze von Spanns Ständeordnung standen, wie bei
Platon, die Weisen, denen er auch entsprechende Führereigenschaften be-
scheinigte.269 Obwohl er der Gesundheit, überhaupt dem Biologischen einen
261 bader, Karl Lugmayer, 13; tarmann, Die Personalität, 55.
262 K. luGmayer, Sein II, 303–314.
263 F. hartmann, Geistiger Anschluss?, 174.
264 K. luGmayer, Sein II, 307 f.
265 K. luGmayer, Philosophie, 114.
266 GG 6 (1990), 156 (Stand/Klasse, O. G. oexle).
267 busshoff, Dollfuß-Regime, 177.
268 sPann, Wahrer Staat, 208–220; becher, Der Blick, 119; bohn, Ständestaatskonzepte, 35;
diamant, Katholiken, 215; heinrich, Schlüsselbegriffe, 348–350; resele, Ständestaatskon-
zeption, 24–29; streitenberGer, Leitbild, 232; H. walter, Ständewesen, 11–16.
269 GauGer, Gemeinwohl, 95; resele, Ständestaatskonzeption, 28 f.; schneller, Zwischen Ro-
mantik und Faschismus, 42; sieGfried, Universalismus, 74.
5.4 LEBEN UND GEIST 237
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580