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er seine Romanfigur Peter Anich seinem Schwager heftigen Widerspruch
entgegensetzen, als ihn dieser aufforderte, sein Wissen zu „verwerten“.706
Der christliche Glaube
Jenseits von Alexander Lernet-Holenias auf die zeittypischen Säkularisie-
rungsphänomene sich beziehendem ernüchterndem Befund, der Glaube an
Gott wäre nicht mehr Bestandteil eines ständeübergreifenden Wertesys-
tems, sondern nur mehr das elitäre Merkmal einiger weniger, vornehmlich
aus dem Adel707, liegen aus Kreisen katholischer Intellektueller sprechende
Belege für dessen gleichwohl gegebene Wirkmächtigkeit vor.
Die mit dem christlichen Glauben verbundenen Werte in jenem breiten
Kontext zu sehen, in den sie von den Protagonisten des Ständestaates ge-
stellt wurden708, ist in Hinblick auf den politischen Katholizismus wissen-
schaftlich unabdingbar709, umso mehr, als sich dieser seit der Mitte des 19.
Jahrhunderts von den Dichotomien nährte, die auch die dreißiger Jahre
prägten.710 Dass der Glaube freilich nicht mehr seine einstige Bedeutung
hatte, zeigt die Verwerfung des im Frühjahr 1934 eingebrachten Antrags
von Alois Schönburg-Hartenstein, in die in Ausarbeitung befindliche Verfas-
sung möge aufgenommen werden, dass Österreich ein katholischer Staat sei:
Man begnügte sich mit „christlich“.711
Bundeskanzler Dollfuß und Verfassungsminister Ender waren gleichwohl
Politiker, die die Verknüpfung von Glaube und Politik als Selbstverständ-
lichkeit betrachteten und innerlich gegen die Trennung von Staat und ka-
tholischer Kirche waren.712 Hermann Stipek erläuterte, warum gerade der
Katholizismus mit der berufsständischen Ordnung so eng verbunden sei:
weil die katholische Soziallehre nicht spezifisch katholisch, sondern christ-
lich sei; kein einziger Punkt könne die evangelischen Christen verletzen; bei
diesen fehle aber die kirchliche Autorität.713
Von mehreren Mandataren liegen explizite Bekenntnisse zum Glauben
und der als dessen Hüterin auftretenden katholischen Kirche vor. Der „insti-
706 henZ, Peter Anich, 202.
707 mayer, Wunscherfüllungen, 228.
708 suPPanZ, Österreichische Geschichtsbilder, 67–72; schmit, Im Namen, 153.
709 Sehr weitläufig die Darstellung von Kriechbaumer, Erzählungen, 43–45, 52–55, 62 f. und
314–316.
710 hanisch/urbanitsch, Prägung, 73.
711 rettenbacher, Bekenntnisfreiheit, 92.
712 miller, Engelbert Dollfuß, 28; wanner, Otto Ender, 161.
713 stiPeK, Das Werden, 21.
5.6 KULTIVIERUNG PERSONALER WERTE 283
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580