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Maß als sonst in Europa habe in Österreich zwischen Adel und „Volk“ eine
Wechselwirkung bestanden232, während das Bürgertum nicht genügend
„Kultursicherheit“ besessen habe, eine solche aufzubauen.233 Hier schwingt
Coudenhove-Kalergis Ansicht mit, dass der Adel aufgrund der meist langen
Familientradition reicher an politischen Talenten sei als das Bürgertum und
dass sich politische Begabung nur wecken und ausbilden, aber nicht erler-
nen lasse234, aber auch Max Webers Bild des idealen, d. h. ethisch aristokra-
tisierten Politikers hat hier sein Fundament.235 Für Ernst Karl Winter war
der „geburtsadlige Mensch“ wegen seiner „Instinktsicherheit“ ein idealer Ge-
stalter der Politik.236 Max Freiherr von Hussarek würdigte den Adel als Ga-
ranten gesunder konservativer Politik; die von Maria Theresia in die Wege
geleitete Politik der Zurückdrängung dieses Stands bedauerte er: Durch die
Schaffung einer einflusslosen Noblesse de Robe in der Zeit des Absolutismus
sei der vormals „demokratische Grundcharakter“ der Monarchie allmählich
abhanden gekommen.237 Ganz von adligem Bewusstsein durchdrungen ist
der 1936 erschienene Roman Die unsterbliche Stadt von Josef von Löwen-
thal.238
Besorgt äußerte sich hingegen Anton Orel: Einst „ideell einer der wich-
tigsten, unentbehrlichsten Stände“, sei der alte Adel nunmehr „weithin
entartet, nicht mehr fähig, seine einstige Aufgabe wieder aufzunehmen“.239
Alfred Johannes Graf Rességuier de Miremont stellte mit Bedauern fest,
dass sich manche Adlige, bei denen die Gesetze der Ritterlichkeit in Ver-
gessenheit geraten seien, als ihres Titels nicht würdig erwiesen. Dem Geld-,
Besitz- und „Sportadel“240 seien Standesgeist und Gemeinsinn und das Be-
wusstsein, dass wahrer Adel nicht auf Rechten, sondern auf Pflichten be-
ruhe, abhanden gekommen; es gäbe, so im Einklang mit den auch im Deut-
schen Adelsblatt, der führenden Adelszeitschrift der Zeit um 1900241, zu Wort
gekommenen kritischen Stimmen242, untrügliche Zeichen von Dekadenz. Er
rief daher die katholischen Edelleute zu einer zeitgemäßen Adaptierung des
Adelsbegriffs auf: „Geistes- und Charakteradel“ könne auch Menschen ohne
232 v. andrian, Oesterreich, 337.
233 v. andrian, Oesterreich, 393; vgl. Prutsch/ZeyrinGer, Leopold von Andrian, 496.
234 coudenhove-KalerGi, Adel, 46.
235 GuseJnova, Adel, 252 f.
236 heinZ, E. K. Winter, 306.
237 NR 7. 11. 1920 (M. v. hussareK).
238 hoffmann, Ständische Ordnung, 161–165.
239 orel, Ständeordnung, 42; vgl. auch Prutsch/ZeyrinGer, Leopold von Andrian, 486.
240 Vgl. steKl, Österreichs Adel, 108.
241 seeliG, Die „soziale Aristokratie“, 149.
242 seeliG, Die „soziale Aristokratie“, 158.
6.4 ADEL IN DER BEWÄHRUNG 325
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580