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Diese Mandatare schätzten die Situation der Bauern in den Grundzügen
richtig ein, benannten manche Fakten aber nicht in der nötigen Schärfe.
So etwa sagten sie nicht, dass die bäuerlichen Abgeordneten, die 1918 die
Verwaltung übernommen hatten, zwar sozial und ökonomisch konservativ,
politisch aber fortschrittlich waren, auch nicht, dass diese an der individu-
alistischen Struktur ihrer Wirtschaft und an Produktionsweisen, die kaum
eine Vergesellschaftung kannten, festhielten, sich von ihrer an alten Stan-
desvorschriften orientierten Haltung zur gesellschaftlichen Abgrenzung
gegenüber der städtischen Bevölkerung leiten ließen und eine latente Kon-
fliktbereitschaft gegenüber der Industrie besaßen. Es handelte sich folglich
um ein Bauerntum, das kein auf die gesellschaftliche Totalität gerichtetes
Bewusstsein und keine eigenen gesellschaftspolitischen Konzepte besaß,
sondern einen hohen Grad an Pragmatismus, ja Utilitarismus474 zeigte, in-
dem es sein Handeln vornehmlich auf die jeweiligen tagespolitischen Erfor-
dernisse abstimmte.475 Dies wusste auch der Wiener Erzbischof Friedrich
Gustav Kardinal Piffl, der 1931 den Bauern Mangel an gesamtgesellschaft-
licher Verantwortung zur Last legte.476 Die Politik, zumal die Regierungen
Kurt Schuschniggs, kam gerade den kleineren Bauern nicht entgegen.477
Viele befanden sich in einer schlechten Lage; dass unrentable Höfe dennoch
erhalten wurden, hatte politische Gründe.478
Kultivierung bäuerlicher Werte
Trotz aller klar gesehenen Probleme wurde die Kultivierung bäuerlicher
Werte als vorrangige Aufgabe empfunden. Richard Schmitz lobte das 1929
errichtete Volksbildungsheim Hubertendorf in Niederösterreich479, mit dem
auch Karl Lugmayer zusammenarbeitete.480 Zum Leiter hatte er, damals
Unterrichtsminister, Dechant Leopold Teufelsbauer ernannt, einen bewähr-
ten Volkspädagogen. Dieser wollte aus Hubertendorf eine „Lebens-, Gemein-
schafts- und Charakterschule“ machen, die die Gesamtpersönlichkeit der
Kursteilnehmer formen und sie befähigen sollte, die eigene Stellung im Or-
ganismus des Volks besser zu erkennen. Vertreter von „Intelligenzberufen“
474 mattl, Agrarstruktur, 4–8 unf 406.
475 hanisch, Die Politik, 115; KluGe, Ständestaat, 45; mattl, Agrarstruktur, 124.
476 Knoll, Piffl, 191.
477 Grafeneder, Arbeiterfamilie, 18; KluGe, Ständestaat, 83; KluGe, Bauern, 442–447; sand-
Gruber, Ökonomie, 397.
478 unterrainer, Wirtschaftspolitik, 66.
479 R. schmitZ, Der Weg, 41.
480 F. luGmayer, Karl Lugmayer, 141.
6.5 BAUERNTUM ALS IDEAL 347
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580