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(Lehrer, Seelsorger, Richter, Offiziere) sollten in die Psychologie des bäuer-
lichen Menschen eingeführt werden, um richtige Verhaltensmuster vermit-
telt zu bekommen. Die Heimat müsse dem Bauern wieder zu etwas bewusst
Empfundenem werden – bis hin zur Pflege von Ortsbild, Häusern und Flu-
ren.481
Klar akzentuierte der Dechant den Zusammenhang zwischen Bauerntum
und Familiensinn: „Bauernarbeit führt von selbst zur Familiengründung“,
weil sie von einem allein nicht machbar sei. Sie wirke sich auch auf das Ver-
hältnis der Geschlechter günstig aus; Mann und Frau hätten komplemen-
täre Aufgaben zu erledigen und träfen sich im Bewusstsein der „Gleichwer-
tigkeit und Notwendigkeit ihrer speziellen Arbeit“.482 Richard Schmitz sah
hier das Vorbild für jene kleineren und mittleren Betriebe mit persönlicher
Führung durch den Unternehmer, die er für geeignet hielt, die negativen
Auswirkungen der Industrialisierung abzufedern.483
Besonders wichtig war Teufelsbauer die Rettung der bäuerlichen Volks-
kultur und des Brauchtums. Dass diese im Niedergang begriffen seien, er-
klärte er aus der Aufhebung der Grundherrschaft: Dadurch sei auch die Au-
torität verloren gegangen, welche die Dorfkultur schützte. Heute (sc. 1931,
E. K.) spüre der Bauer, dass das Alte seinen Sinn verloren hat, und sei daher
orientierungslos. Mittlerweile sei es nötig geworden, ihm das Alte zu erklä-
ren.484 Zu diesem Zweck gab der Dechant Empfehlungen zur Gestaltung des
Bauernhauses und zur Pflege der Familienüberlieferung und rief zur Ein-
richtung von Volksbüchereien, Dorftagen und Dorfheimen sowie zur Pflege
des Volksliedes und der Volkskunst auf.485
Eine ähnliche Leistung wie Leopold Teufelsbauer in Niederösterreich er-
brachte Kaplan Josef Steinberger in der Steiermark. 1919 baute er ein bäu-
erliches Bildungswerk auf, dessen Ziel die Verbreitung der „Bauernkunde“
war. Es sollte bei Lehrern und Angehörigen der geistigen Berufe das Ver-
ständnis für Wesen, Verhältnisse und Bedürfnisse der bäuerlichen Jugend
festigen.486 Diese Anliegen deckten sich mit jenen des 1899 gegründeten Ka-
tholisch-conservativen Bauernvereins, zu dessen Zielen die Vertretung der
Interessen des „Bauernstands […] in religiöser, wirtschaftlicher und patrio-
tischer Beziehung“ gehörte und der insbesondere „das Standesbewusstsein
zu beleben und zu stärken“ die Absicht hatte.487 Fünf Prozent der Mitglieder
481 sZerelmes, Leopold Teufelsbauer, 119.
482 teufelsbauer, Landfrauenarbeit, 1; CS 17. 6. 1934 (L. teufelsbauer).
483 seliGer, Scheinparlamentarismus, 354.
484 4. 4. 1931 (L. teufelsbauer).
485 11. 4. 1931 (L. teufelsbauer).
486 burKert-dottolo, Das Land, 38.
487 burKert-dottolo, Das Land, 32. 6.
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580