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Standpunkt implizit vorweg, was mittlerweile – auch im Licht einer weit
gediehenen regionalgeschichtlichen Forschung – als erwiesen gilt, nämlich
dass Konzepte wie Heimat, Vaterland, Nation häufig einander überlagern
und dass die Geschichtlichkeit dieser Konstrukte nicht in jeder Situation
gleich klar hervortritt.864 Kurt Schuschnigg zollte Seipels Thesen größten
Respekt.865
Einen ähnlichen Gedanken hatte lange vor Seipel der ungarische Reform-
politiker Joseph Eötvös866 dargelegt, der einen institutionalisierten Natio-
nalitätenschutz ablehnte, weil er das Prinzip der Gleichberechtigung der
Individuen gefährde.867 Wilhelm von Humboldt hatte betont, Staat und Na-
tion seien nicht aufeinander angewiesen, denn Nation bilde sich im freien
Zusammenwirken der Individuen.868 Im Umfeld Othmar Spanns war die Na-
tion etwas sittlich Verankertes: Walter Adolf Jöhr zog begrifflich allerdings
„Gemeinwesen“ vor, weil dies auch für ältere Epochen Gültigkeit habe; der
„Staat“ diene lediglich als zentrale Machtorganisation.869
Von den Mandataren war Guido Zernatto jener, der sich am ausführlichs-
ten mit dem Begriff „Nation“ befasste. Der vor den Nationalsozialisten aus
Österreich geflohene Kärntner Dichter hatte unmittelbar erlebt, was maß-
los übersteigerter Nationalismus bedeutet: In den USA, wo er in den frü-
hen vierziger Jahren einer unabhängigen Gruppe österreichischer Exilan-
ten angehörte870, verarbeitete er daher seine eigene Erfahrung, als er dem
Thema eine monographische Darstellung widmete, die nach seinem Tod aus
dem Nachlass veröffentlicht wurde.871 Er verfasste sie in der Überzeugung,
das Wesen der Nation zu erkennen, sei ein zentraler Beitrag „zur Rettung
unserer Welt“.872 Seine Abhandlung ist eine gelungene Synthese aus wis-
senschaftlicher Schärfe und philosophischer Tiefe, die es verdient, in ihren
Grundzügen referiert zu werden.
Breiten Raum widmete Zernatto der Geschichte des Begriffs: Der ur-
sprüngliche Wortsinn habe etwas leicht Abschätziges gehabt, nämlich eine
Gruppe von Menschen gemeiner Abkunft, die durch ähnliche Umstände ih-
864 Petri, Heimat, 207–209.
865 K. schuschniGG, Dreimal, 80; vgl. auch MSchKP 1, 973 f. (A. novotny).
866 Zu ihm body, Joseph Eötvös, passim.
867 DöMők, Nationalitätenfrage, 126; hoor, Wandlungen, 441; G. stourZh, Probleme des Nati-
onalitätenrechts, 130–133.
868 Potočnik, Bewusstsein, 19.
869 StL 1937, 142 (W. A. Jöhr).
870 ePPel, Österreicher 2, 13, 18, 83 f., 192, 247, 252 f., 255, 257, 263, 280, 283, 297 f., 325, 334,
357, 385, 399 f., 407, 413, 424, 439, 446 f., 449, 499 und 574.
871 in der maur, Einleitung, 11; zu weiteren geplanten Arbeiten ePPel, Österreicher 1, 370 f.
872 Zernatto, Vom Wesen, 72; vgl. Potočnik, Bewusstsein, 308. 6.
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580