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Nation ein Vorteil, sondern „der Anschluss Deutschlands an die österreichi-
sche Idee“.1176
Eine gewichtige Stimme zum Verhältnis der beiden Staaten war Josef
Dobretsberger, dem zufolge ein selbständiges deutsches Österreich „eine un-
vergleichlich größere nationale Aufgabe zu erfüllen hat als jemals ein Ost-
markgau innerhalb des Deutschen Reichs“. Österreichs Sendung sei „nicht
unmittelbar auf Machtausbreitung, sondern auf kulturelle Pionierarbeit ab-
gestellt“. Selbst Bismarck habe in der Krise der 1860er-Jahre große Sympa-
thien für ein selbständiges Österreich empfunden1177, ein auch von Leopold
von Andrian bestätigtes Faktum.1178
Von den Mandataren ist als Anwalt des „besseren“ Österreich allen vo-
ran Rudolf Henz zu nennen.1179 Im Roman Der große Sturm zeichnete er
ein negatives Bild von Deutschland.1180 In anderen Werken verarbeitete er
Österreichthemen oder auf Österreich bezogene Stoffe. Vom österreichi-
schen Menschen glaubte er, dieser komme „dem Menschen“ zuweilen recht
nahe1181; er sei die „Person“, das in Familie und Gemeinde organisch einge-
bundene, nicht mit dem Staatsbürger identische Wesen, der in den Richt-
linien zur Führerausbildung der VF (1935) als „menschlicher Mensch“ Cha-
rakterisierte, jener, der „Mensch“ zum ethischen Begriff mache.1182
Friedrich Funder leitete aus der Ablehnung des Anschlusses für das Ös-
terreichertum große Aufgaben ab.1183 Für diese Haltung lobte ihn Florian
Födermayr, der sich über den von Deutschland ausgehenden Einfluss des
Nationalsozialismus in den frühen dreißiger Jahren besorgt zeigte.1184 Er
mahnte, man solle „das österreichische Wesen nicht als Gegensatz zum deut-
schen brandmarken“, betonte aber die Eigenständigkeit Österreichs.1185 Ge-
org Prader bescheinigte dem Innviertler Dialektdichter Norbert Hanrieder
„echt deutsche Tugenden“: Gerechtigkeitsliebe, Wahrhaftigkeit, Treue.1186
Guido Zernatto bezeichnete das Deutschtum der Österreicher als eines „der
besonderen Art“; wichtig war ihm die Abgrenzung von allen „Internationa-
1176 KlotZ, Was wird, 80.
1177 dobretsberGer, Vom Sinn, 62–64; KlotZ, Sturm, 19.
1178 schumacher, Leopold Andrian, 118.
1179 Kromar, „Österreich-Mythos“, 48.
1180 wöGerer, Innere Emigration, 119.
1181 henZ, Fügung, 183.
1182 suPPanZ, Der österreichische Mensch, 183–187; staudinGer, Österreich-Ideologie, 39.
1183 Krause, CV, 109; Pfarrhofer, Friedrich Funder, 167.
1184 födermayr, Vom Pflug, 92; vgl. hierzu auch höcK, Medienpolitik, 42.
1185 födermayr, Vom Pflug, 99–102; vgl. auch binder 1982, Karl Maria Stepan, 173.
1186 Prader, Norbert Hanrieder, 169.
6.8 ÖSTERREICHBEWUSSTSEIN VERSUS NATIONALSOZIALISMUS 415
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580