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genannten Autoren. Auch fehlte ihnen das Bewusstsein, dass 1683 gerade
für Christen auch dunkle Seiten hat, im Grunde eine ethisch anfechtbare
Grundlage österreichisch-abendländischer „Erfolge“ darstellt.1283
Hermann Stipek wies auf das 1684 erschienene Werk Österreich über al-
les, wenn es nur will von Philipp Wilhelm von Hörnigk hin, in dem die habs-
burgischen Territorien als zusammenhängender Wirtschaftsraum aufgefasst
wurden. Aufgrund der wenngleich in merkantilistischem Geist erhobenen
Aufforderung zur Nutzung der vorhandenen Rohstoffe und einer zurückhal-
tenden Beurteilung des Handels war der barocke Nationalökonom für Sti-
pek gleichsam ein Dollfuß ante litteram, der eine mittelalterlich anmutende
ständische Ordnung sichtbar gemacht habe.1284
Große Bedeutung wurde auch der Zeit Maria Theresias beigemessen, die
durch ihren Einsatz für Südosteuropa, so Zernatto, „eine der bedeutsamsten
Kulturleistungen der Menschheitsgeschichte“ vollbracht habe.1285 Es ging
hier darum, die Lage Österreichs an der Stelle, wo das westöstliche Kultur-
gefälle am größten war, zu betonen – und damit um einen durch vermeint-
liche Überlegenheit legitimierten Erziehungsauftrag gegenüber den kleinen
Nationen.1286 Als „Landes-Mutter“ sei Maria Theresia hierzu besonders befä-
higt gewesen – womit nun auch ein tief sitzender Zusammenhang mit dem
ständischen Gesellschaftsideal hergestellt ist.1287
Bei Hans Karl Zeßner-Spitzenberg ist von einem „völkerverbindenden Be-
ruf“ die Rede; ab 1867 habe die deutsche Bevölkerung der ins Schlepptau
Preußens geratenen Monarchie diesen allerdings nicht mehr ausüben kön-
nen.1288 Gleichwohl gelte: „Der Österreicher [...] ist mitteleuropäisch befähigt
und nach Osten orientiert.“1289 Mit Maria Theresia ging der Freiherr indes
eher hart ins Gericht, denn sie habe preußische Methoden nachgeahmt, was
der historischen Einheit der Monarchie abträglich gewesen sei.1290 Dieser
Politik stellte er das Völkermanifest Kaiser Karls vom 16. Oktober 1918 ge-
genüber, dem zufolge Cisleithanien zu einem Bundesstaat auf ethnischer
Grundlage werden sollte.1291
1283 Vgl. den anregenden Beitrag von lutZ, Das Türkenjahr.
1284 stiPeK, Das Werden, 5 f.
1285 Zernatto, Die Wahrheit, 24 f.
1286 suPPanZ, Geschichtsbilder, 68; senft, Im Vorfeld, 129.
1287 iber, Vom Syllabus, 14, 56 f.
1288 H. K. Zeßner-sPitZenberG, Kaiser Karl 1927, 129.
1289 CS 18. 3. 1934 (H. K. Zeßner-sPitZenberG).
1290 SZ 27. 1. 1929 (H. K. Zeßner-sPitZenberG).
1291 SZ 22. 7. 1928 (H. K. Zeßner-sPitZenberG); vgl. brouceK, Karl I., 207–211; Gehler, Politi-
scher Wandel, 35; Kann, Die Habsburgermonarchie, 38; Potočnik, Bewusstsein, 39.
6.8 ÖSTERREICHBEWUSSTSEIN VERSUS NATIONALSOZIALISMUS 427
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580