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zu spalten begann. „Das natürliche Ziel“, sie nach den sieben Berufsständen
zu gliedern, „lag ferner denn je“.396
Franz Rehrl sah die Wurzel des Problems darin, dass manche Berufe
nicht einmal klar zu umschreiben seien. Daher setzte er in die berufsständi-
sche Ordnung nur begrenzte Hoffnungen.397 Völlig unverbindlich klingt die
Bilanz, die Hermann Stipek 1937 zog: Österreich, befinde sich gerade in der
Phase des Aufbaus der berufsständischen Verfassung: Das syndikalistische
Stadium sei beendet, das korporative Stadium sei im Gang.398
Mit diesem Thema und mit der ebenfalls bereits behandelten Frage der
Kammern verwandt ist die nach der Bedeutung der neu geschaffenen Bünde
für den berufsständischen Aufbau. Richard Schmitz hielt sie dazu grund-
sätzlich für geeignet, räumte aber ein, dass es sich um Interessenvertretun-
gen handle; in der Trennung zwischen Unternehmern und Gewerkschafts-
bund sah er „eine Gefahr für das gesamte Reformwerk“.399 Auch änderte sich
in der Praxis am verwirrenden Nebeneinander zwischen alten Verbänden
und den Bünden nichts, umso mehr, als die Arbeitgeber mit ihren bisherigen
Einrichtungen ja sehr zufrieden waren.400
Otto Ender würdigte die Bünde als zwischen Genossenschaften und Par-
lament liegende Einrichtungen: Dies mache sie zu Basiselementen der De-
mokratie; nicht zuletzt liege ihre Wichtigkeit in der Funktion als Stationen
des cursus honorum der Mandatare.401 Josef von Löwenthal bezeichnete die
Bünde in seinem utopischen Roman als lediglich vorbereitende Schritte für
den endgültigen ständischen Aufbau und war sich sicher, dass sie einst ent-
behrlich sein würden. Auf einen Zeitrahmen legte er sich nicht fest.402
Ebenfalls positiv, aber nicht so uneingeschränkt, war die Sichtweise
Franz Kolbs, des katholisch-konservativen Mandatars, der in wirtschaftli-
chen Fragen eher dem linken Lager nahe stand:403 Mit Bezug auf die inner-
halb der Tiroler Volkspartei als eigene Strömungen konstituierten Bünde,
den Arbeitsbund und den Bauernbund, gab er zu bedenken, dass die bün-
dische Gruppierung für die öffentlichen Aufgaben „kein Ideal“ darstelle;
gleichwohl dürfe man sie nicht einfach verurteilen, denn sie machten „die
christliche Sache im öffentlichen Leben beweglicher und manövrierfähi-
396 ludwiG, Österreichs Sendung, 206.
397 H. dachs, Franz Rehrl, 256 f.
398 stiPeK, Das Werden, 19 f.
399 R. schmitZ, Die berufsständische Neuordnung, 15 f.
400 enderle-burcel, Historische Einführung 4, XXXII; enderle-burcel, Historische Einfüh-
rung 5, XXIX.
401 wohnout, Verfassungstheorie, 160.
402 hoffmann, Ständische Ordnung, 171.
403 Kramer, Franz Kolb, 568.
7.5 PROBLEME DER BERUFSSTÄNDISCHEN ORDNUNG 473
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580