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demokratischer Grundeinstellung 391, opponierte innerlich gegen das autori-
täre Prinzip, machte äußerlich jedoch mit. Seit 1934 übte er keine offene Kri-
tik mehr an der Regierung und erteilte der autoritären Staatsführung seine
Zustimmung:392 Obwohl er die Auflösung der CSP bedauerte, kooperierte er
mit der VF: Nur so glaubte er den Einfluss der CSP zu erhalten.393 Im Au-
gust 1936 erklärte er einer französischen Journalistin, der österreichische
Staat sei nicht faschistisch, die Situation sei eine vorübergehende, der auto-
ritäre Staat basiere auf den Ideen der Unabhängigkeit Österreichs. Später
wurde die Kritik schärfer.394
Auch Karl Lugmayer sah den Hang der VF zum Autoritären, gab sich
aber damit zufrieden, dass die Kultur von dieser nicht aufgesogen worden
sei.395 Von Anfang an ausdrücklich auf Distanz gingen Leopold Kunschak
und Josef Reither.396 Otto Ender, Josef Resch, Richard Schmitz und Fried-
rich Funder bildeten eine Art innere Opposition.397 Dasselbe galt für die KA,
die sich der Eingliederung ihrer Jugendorganisation in die VF widersetzte.
Leopold Engelhart, ihr Generalsekretär in Wien, fürchtete um die kirchliche
Eigenständigkeit.398
Richard Schmitz suchte nach Rechtfertigungen für das autoritäre System:
Noch 1945 erläuterte er in Rom dem vormaligen Nuntius in Wien, Kardinal
Enrico Sibilia, im Jahr 1934 habe ein „Existenzkampf des Staates zwischen
Sozialdemokratie und Nationalsozialismus“ stattgefunden399, der zu einer
Krise des Parlamentarismus geführt habe; Engelbert Dollfuß habe nach We-
gen gesucht, das Zusammenleben der christlichen Faktoren des Landes in
neuen Formen zu ermöglichen.400
Nicht minder apologetisch klingt, was Ulrich Ilg zur Politik der Bundes-
kanzler Dollfuß und Schuschnigg zu sagen hatte: Oberste Maxime sei die
Abwehr des Nationalsozialismus gewesen; für beide Kanzler hätte es keine
Alternative gegeben. Der Vorarlberger Politiker, der Dollfuß’ Ermordung als
Staatssekretär für Land- und Forstwirtschaft hautnah erlebt hatte (er hatte
eigenhändig an der Aufbahrung des Toten mitgewirkt), zitierte den Kanzler
391 dohle, 150 Jahre, 31.
392 CS 4. 2. 1934 (F. rehrl); H. dachs, Franz Rehrl, 250–253; wohnout, Die Verfassung, 29.
393 Kriechbaumer, Front, 154; stocK, „... nach Vorschlägen der Vaterländischen Front“, 20.
394 hanisch, Franz Rehrl, 26–30.
395 CS 3. 6. 1934 (K. luGmayer).
396 schmit, Christliche Arbeiterbewegung, 98 f.; wiltscheGG, Heimwehr, 74.
397 wandrusZKa, Struktur, 347; wohnout, Verfassungstheorie, 84 f.
398 PoPP, Der CV, 267.
399 Zu den im Ständestaat gesetzten Prioritäten (Unabhängigkeit Österreichs versus Ausschal-
tung der Sozialdemokratie) ist die Forschung geteilter Meinung; mommsen, Theorie, 174.
400 R. schmitZ, Tagebuch, 27. 8. STAAT UND
GESELLSCHAFT524
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„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Title
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Subtitle
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Author
- Erika Kustatscher
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln - Weimar
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Size
- 17.4 x 24.6 cm
- Pages
- 682
- Keywords
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580