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II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie?
aristokratischen Beamtenreformer der nachjosephinischen Zeit stand zweifelsohne
ganz allgemein die Aufhebung der Gängelung durch die Obrigkeit sowie der Kon-
trolle und Zensur,39 eine Ablehnung staatlicher/kaiserlicher Obrigkeit wurde frei-
lich nirgends manifest. Die Beamten waren staats- und dynastietreu.
Spätestens seit den 30er-Jahren sind Zeichen spürbar, dass die Kernstücke der
bürgerlichen Ideologie des 19. Jahrhunderts, nämlich Liberalismus in Verbin-
dung mit Nationalismus, auch im österreichischen gebildeten Publikum sehr eng
gekoppelt waren. Auf dem Parkett der Politik waren Äußerungen dieser Natur
allerdings nicht ratsam, denn der Staat vor 1848 verfolgte bekanntlich die Linie
des strikten Anationalismus. So konnte Heinrich Laube, vor 1848 begeisterter
Schriftsteller für das Junge Deutschland, wegen seiner nationalen Gesinnung in
den deutschen Landen verfolgt, 1833 – besorgt über den für ihn offensichtlichen
Mangel an deutschem Nationalismus in Österreich – fragen, „was der Österrei-
cher eigentlich werden soll, ob ein Österreicher, ein Deutscher oder ein österrei-
chischer Deutscher“.40 Und aus dem Metternich’schen Österreich selbst kamen –
selbstverständlich anonym – tadelnde Stimmen (wie von Viktor Andrian-Werburg
oder von Carl Möring) über den fehlenden nationalen Geist in diesen Landen.41
Vergleiche mit den kulturellen Verhältnissen in manchen deutschen Nachbar-
landen riefen allerdings bei den Deutschsprachigen der Monarchie Unmut und
Scham hervor. Dass die Freiheitsideologie jenseits der schwarz-gelben Grenzpfähle
zunächst intellektuell – literarisch als „klassische Bildung“ und „deutscher Geist
von Karl dem Großen bis Goethe“ Triumphe feierte, bedeutete für österreichische
Intellektuelle ein unfassbares Maß an bürgerlicher Freiheit, an Bildung und Kul-
39 WOLFGANG HÄUSLER, „Was kommt heran mit kühnem Gange?“ Ursachen, Folgen und
Verlauf der Wiener Märzrevolution 1848. In: 1848 – Revolution in Österreich, hg. von Ernst
Bruckmüller und Wolfgang Häusler (= Schriften des Instituts für Österreichkunde 62), S. 23–44.
40 In: Wiener Jahrbücher der Literatur vom 14. 3. 1833, Nr. 52, 208 (anonyme Besprechung des
ersten Bandes von Groß-Hoffingers Zeitschrift „Austria“, Leipzig 1833), zit. bei SILVESTER
LECHNER, Gelehrte Kritik und Restauration. Metternichs Wissenschafts- und Pressepolitik
und die Wiener Jahrbücher der Literatur (1818–1849) (Tübingen 1977), S. 111, Anm. 381; siehe
auch WALTRAUD HEINDL, Die österreichische Bürokratie zwischen deutscher Vorherrschaft
und österreichischer Staatsidee. In: Österreich und die deutsche Frage im 19. und 20. Jahrhun-
dert. Probleme der politisch-kulturellen und soziokulturellen Differenzierung im deutschen
Mitteleuropa (= Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 9, hg. von Heinrich Lutz und
Helmut Rumpler, Wien 1982), S. 83.
41 ANDRIAN-WERBURG, Österreich und dessen Zukunft, S. 1, 8 f.; CARL MÖRING, an-
onym, Sybillinische Bücher aus Österreich, Band 1 (Hamburg 1848), S. 17 f.; siehe auch
HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 212f.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277