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II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie?
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Die österreichische Staatsidee sollte bei den Beamten vorderhand Priorität er-
ringen. Manche versuchten eine Kombination herzustellen. Der enthusiastische
Vers des 1862 verstorbenen Sektionsrates Hans Perthalers:
„Ich hoffe, dass das Deutsche siegen werde,
in Habsburgs Sprossen fließt ja deutsches Blut“,
ist bezeichnend für diesen „Beamten-Geist“,54 der eine österreichische und
national(deutsche) Ideologie durch gewagte Konstruktionen zu vereinen trach-
tete. Bis zum Ende der Monarchie sind Spuren davon zu finden.55
Die anfänglich revolutionäre Begeisterung so mancher beamteten Zeitgenossen
sollte sich bald ändern, als die Revolution Entwicklungen annahm, die Staat und
Gesellschaft destabilisierten. Das Beamtentum musste aus einem Berufsinteresse
heraus an der Erhaltung des Staatsganzen interessiert sein. Selbst die Rebellen un-
ter ihnen waren nicht mehr zu bewegen, sich später mit den Studenten und Arbei-
tern an der Oktoberrevolution zu beteiligen. Lassen wir wieder die aufschlussrei-
chen Berichte der Gattin Peter Salzgebers Wilhelmina zu Wort kommen, die die
revolutionären Ereignisse genau und, wie wir sahen, nicht ohne Sympathie kom-
mentierte. Im Laufe des Jahres, ab den unübersichtlichen Ereignissen im Mai 1848
werden Zweifel und Sorgen deutlich. Ihrer Beschreibung der Oktoberereignisse
des Jahres 1848 in ihrem Brief an Minna Russegger kurz nach der Ermordung des
Kriegsministers Latour ist großes Entsetzen, aber auch Verständnis zu entnehmen.
Sie berichtet über die Schießereien aus dem Zeughaus und auf das Zeughaus,
von der Ermordung Latours, den sie als „edlen, ritterlichen Mensch“ und seine
Mörder als „wilde Horde“ bezeichnet, deren „Leidenschaften“ allerdings seit Mo-
naten „aufgeregt“ wurden, und zieht folgendes Fazit: „Unser Geschick ist düster,
der Fluch des alten Systems lastet auf uns, die wahnsinnigen Menschen zerstören
alles, aber ihre Aufregung gegen alles frühere und ihre Furcht, dass es rückkehren
könnte, ist dennoch verzeihlich – Du siehst, ich halte es in einer Beziehung mit
den Rebellen.“56 Und am 22. Oktober zitiert sie noch einmal das alte System als
Auslöser der „Oktoberschrecken“ in der Stadt Wien: „Gott behüte uns, was ha-
ben so viele Tausende gethan um alle diese Schrecken mitzumachen? Es ist der
54 Zit. in HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 220.
55 Vgl. die nationale Einstellung hoher Beamten in einem späteren Zeitraum, die im Kapitel „Na-
tionale Illustrationen“ behandelt wird.
56 Wilhelmina Salzgeber an ihre Tochter Minna Russegger, o. D., PA BLECHNER, Zur Ge-
schichte der Wiener Familie Blühdorn, Briefe, Manus, S. 56–58, Zitate 58.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277