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II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie?
Fluch des alten Systems, der auf uns lastet, der alte Druck hat die Menschen zu
diesem Wahnsinn getrieben, mit dem sie in ihren eigenen Eingeweiden wühlen
[…].“57 Ihr Ehemann, der hohe Beamte Peter Salzgeber, urteilte freilich strenger
über die aufständischen Studenten und Arbeiter, die er als einen dem Wahnsinn
verfallenen „Pöbel“ bezeichnet und der „Tollheit“ bezichtigt.58 Und das, obwohl
die Erfüllung der Wünsche der biederen Beamten, die Beseitigung der geheimen
Conduite-Listen, des Denunziantenwesens und des Nepotismus, in weite Ferne
gerückt waren! Und obwohl auch die Träume der Beamteneliten von Liberalis-
mus, von einem konstitutionellen Staat, Rede- und Pressefreiheit als unerfüllte
und begrabene Hoffnungen galten.
Das Dilemma für Beamte war: Die bürokratische Tugend, sich dem Staat loyal
zu erweisen, stand gegen die bürgerliche Tugend, sich als gebildetes Mitglied der
Gesellschaft fortschrittlich-liberal, auch national zu zeigen. Die Frage liberal/na-
tional, die zum eigentlichen politischen Staats- und Reichsproblem werden sollte,
sollte sich bis zum Ende der Monarchie auch innerhalb der Beamtenschaft und im
Rahmen der bürokratischen Praxis zuspitzen. Beamte und Bürokratie sind – auch
als eigener Mikrokosmos – ein Teil der Gesellschaft.
57 Wilhelmina Salzgeber an ihre Tochter Minna Russegger, 22. Oktober 1848, PA BLECHNER,
Zur Geschichte der Wiener Familie Blühdorn, Briefe, Manus, S. 58.
58 Peter von Salzgeber an seine Tochter Minna Russegger, 3.11.1848, PA BLECHNER, Zur Ge-
schichte der Wiener Familie Blühdorn, Briefe, Manus, S. 17.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277