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4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung
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Personen erst gar nicht vor Gericht, sondern belegte sie mit Verwaltungsstrafen,
die hart ausfielen. Selbst mit den Urteilen der Gerichte gingen die Verwaltungsbe-
amten nicht zimperlich um und verhängten bei Freisprüchen durch die Gerichte
noch ordentliche Verwaltungsstrafen. Es kam vor, dass Beamte, deren Gerichts-
verfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt worden waren, durch Verwaltungs-
strafverfahren ausgewiesen wurden. Der Landesgerichtsrat Giuseppe Ruffoni aus
Verona, der eine „besondere Teilnahme für die revolutionären Bestrebungen“ an
den Tag gelegt hatte und sich eines Tages mitten in einem Theaterpublikum be-
fand, das „sich unter aufrührerischen Rufen“ zerstreute, wurde vom Gericht man-
gels Beweisen freigesprochen, trotzdem verurteilten ihn die Provinzialdelegation
und die Statthalterei zu einer Verwaltungsstrafe von einem dreimonatigen Arrest.
In seiner Verwaltung betrieb Toggenburg freilich eine den Italienern gegen-
über pragmatische, eher liberale Personalpolitik. Für ihn galten „Umsichtigkeit
in der Amtsführung, größtmöglicher Einsatz für die Sache, Verbindlichkeit im
Umgang mit den lokalen Honoratioren bei gleichzeitiger Härte in zentralen in-
haltlichen Fragen“ als Prioritäten bei Personalentscheidungen. Doch tolerierte er
abweichende politische Meinungen, sofern sie nicht öffentlich zur Schau gestellt
wurden und die Beamten „absolute Loyalität zur österreichischen Regierung“ be-
wiesen.117 Dies gefiel wiederum der Polizeibehörde nicht. Es kam in der Causa
Beamte, wie früher in Ungarn, zu den größten Komplikationen zwischen den
österreichischen Beamten der Polizei- und der politischen Behörden. Angesichts
der Politik der österreichischen Behörden ist es nicht verwunderlich, wenn nati-
onal italienisch denkende und fühlende Beamte für den „Vaterstaat“ Österreich
nicht allzu große Begeisterung empfanden (auch wenn sie ihre Gefühle nicht of-
fen zeigten), vielleicht sogar in passivem Widerstand staatlichen Anordnungen
zuwiderhandelten. Die Regierungen lernten nicht oder nur in sehr begrenztem
Maß. Auch später sollten sie national agierenden Beamten mit großer Strenge
begegnen (wovon später noch die Rede sein wird).
117 GOTTSMANN, Venetien, S. 42, über die Komplikationen zwischen Polizei- und politischen
Behörden S. 36 f.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277