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5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867
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Die Besetzung blieb an das Schulsystem gekoppelt. Für höhere Beamte im
Konzeptdienst wurde die Absolvierung des reformierten Universitätsstudiums,
vorrangig des Jusstudiums, verlangt, für den mittleren Staatsdienst genügte im
Allgemeinen der Abschluss des – ebenfalls reformierten – Gymnasiums, die be-
standene Matura, um für die sogenannten „minderen“ Chargen aufgenommen zu
werden, war die erfolgreiche Beendigung der Volks- oder Bürgerschule die Voraus-
setzung für den öffentlichen Dienst.
Das Jusstudium unterzog man in diesen Jahren einem grundlegenden Wan-
del. Im Rahmen der Universitätsreformen des Unterrichtsministers Graf Leo
Thun-Hohenstein wurde der Schwerpunkt der Juristenausbildung statt auf die
praxisorientierte Lehre im Vormärz121 auf die wissenschaftliche Entwicklung ge-
legt. Anstelle der Philosophie des Naturrechts, in der die angehenden Beamten bis
1848 an den juridischen Fakultäten unterrichtet worden waren, traten nun (neben
dem Privatrecht) die historischen Fächer in den Vordergrund. Römisches Recht
und Kirchenrecht wurden als Fächer beibehalten, neu und revolutionär wirkte
aber, dass die historische Rechtsschule Savignys, wie sie an deutschen Universi-
täten gelehrt wurde, als Studienfach eingeführt wurde.122 Es fehlte allerdings die
volkswirtschaftliche Ausbildung und die früher so geschätzte Rechtsphilosophie.
Das Naturrecht war für die katholisch-konservativen Reformer um Thun nicht
nur deshalb verpönt, weil es längst aus der Mode gekommen, sondern viel mehr
noch, weil es innig mit der Aufklärung und Joseph II. verbunden war. Der Ersatz
des Naturrechts durch die historische Rechtsschule barg allerdings in der Zeit des
zunehmenden Nationalismus politisch reichlich Sprengkraft: Für die übernatio-
nale Konstruktion des Habsburgerstaates mit seinen verschiedenen historischen
Rechtssystemen bot die Möglichkeit der Berufung auf das jeweilige historisch ge-
wachsene Recht der Länder zugleich auch die Legitimation für die Forderung von
Eigenstaatlichkeit.
121 Vgl. HEINDL, Gehorsame Rebellen, S. 130–135; auch WALTRAUD HEINDL, Bildung und
Recht. Naturrecht und Ausbildung der staatsbürgerlichen Gesellschaft in der Habsburgermon-
archie. In: Geschichte und Recht. Festschrift für Gerald Stourzh zum 70. Geburtstag, hg. von
Thomas Angerer, Birgitta Bader-Zaar, Margarete Grandner (Wien/Köln/Weimar 1999), S. 183–
207.
122 Siehe auch WALTRAUD HEINDL, Einleitung zu ÖMR., Abteilung III: Das Ministerium
Buol-Schauenstein, Band 3: 11. Oktober 1853 – 19. Dezember 1854, bearbeitet und eingeleitet
von Waltraud Heindl (Wien 1984), S. XXVI–XXVIII; ERNST von PLENER, Erinnerungen,
1.
Band: Jugend, Paris und London bis 1873 (Stuttgart und Leipzig 1911), S. 9 f.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277