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2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme
gewalt und damit als „ihre Organe“ an. Im Gegenteil: Sie diskutierten im Minis-
terrat, die Beamten zu nötigen, für einen bestimmten Abgeordneten zu stimmen,
und auf „Verletzung der Amtspflicht“ und auf die „Pflicht des Beamten zu Gehor-
sam“ zu rekurrieren, sollten Beamte nicht dem Willen der Minister entsprechen.
Und nur der Minister des Äußern nahm dagegen Stellung.12
Wir dürfen annehmen, dass die Minister im Sinne ihres Allerhöchsten Herrn
handelten. Franz Joseph war – so ist aus der Dezemberverfassung zu schließen
– der Ansicht, dass die Beamten allein seine Domäne waren, auch was die demo-
kratischen Usancen des Wahlrechts betrafen. Zu diesem Zeitpunkt, zu Beginn des
Jahres 1867, wurde von der Regierung noch überlegt, bestimmte Beamtengrup-
pen, zumindest die Richter und Staatsanwälte, die in den Reichsrat gewählt wur-
den, für die Dauer der Legislaturperiode vom Staatsdienst zu beurlauben. Doch
im Staatsgrundgesetz vom Dezember 1867 über die Reichsvertretung wurde (wohl
wissend, was dies bedeutete) entschieden, dass Männer im öffentlichen Dienst
(Frauen waren damals gleichermaßen vom Staatsdienst wie vom Wahlrecht weit
entfernt) expressis verbis „zur Ausübung ihres Mandats keiner Beurlaubung“ vom
Dienst bedurften.13 Es war dies ein Gesetz, das sich für den freien Abstimmungs-
modus der beamteten Abgeordneten in der Folge unheilvoll auswirken sollte.
Denn einerseits waren sie als Mitglieder des Abgeordnetenhauses frei gewählte
Mandatare, andererseits blieben sie exekutierende Funktionäre des Kaisers und ge-
nossen nicht die parlamentarische Immunität, die ihren Kollegen im Reichsrat in
Ausübung ihres Amtes sehr wohl zugebilligt wurde.14 Die Beamten blieben daher
auch als gewählte Vertreter weisungsgebundene Beamte des Kaisers, per Gesetz
zu Gehorsam und Loyalität ebenso verpflichtet wie seinen Willen zu erfüllen. Ein
Faktum, das noch im Laufe der Regierungszeit Franz Josephs I. große Probleme
aufwerfen sollte!
Diese Haltung der Regierung und des Kaisers gegenüber den Staatsdienern be-
stimmte in Hinkunft die Lage der Beamten im Staat. Die Ansicht der Regierung
sollte sich nur langsam ändern, die des Souveräns blieb bis zu seinem Ende gleich.
Die Stellung der Staatsdiener glich damit einer merkwürdigen „Zwitterstellung“,
12 Ministerratsprotokoll vom 2. Jänner 1867/IV, Weisung des Staatsministeriums an die Beamten
vom 2. Jänner 1867, gedruckt in: ÖMR., VI/2, S. 385.
13 Gesetz vom 21. Dezember 1867, RGBL. Nr. 141/1867, wodurch das Grundgesetz über die Reichs-
vertretung vom 26. Februar 1861 abgeändert wird, § 8, BERNATZIK, Verfassungsgesetze, Nr.
133, S. 394.
14 Diese wurde in der eben genannten Verfassung ausdrücklich dekretiert, BERNATZIK, Verfas-
sungsgesetze, Nr. 133, S. 400 f.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277