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3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en
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war aber für den Verwaltungsbeamten kein Objekt der Liebedienerei oder eines
geschmacklosen Byzantinismus. So war es schon unter der großen Regentin und
auch unter den Kaisern Joseph, Franz und Ferdinand: darin trat auch unter Franz
Joseph keine Änderung ein. Die Ehrfurcht vor dem dynastischen Prinzip war es,
was sich in der Stellung des magistralen Beamten dem Monarchen gegenüber
ausdrückte, nicht aber persönliche Unterwürfigkeit. Als Knabe sah ich, wie Be-
zirkshauptmann Kandler den Kaiser und die Kaiserin auf offenem Felde empfing,
wenn das Kaiserpaar nach Göding kam, um Parforceritte nach den Hirschen zu
reiten. Die einfache Würde und Ergebenheit, die der alte Herr da in natürlichs-
ter Haltung zeigte, habe ich dann, als ich selbst als politischer Beamter Gelegen-
heit zu solcher Beobachtung hatte, immer wieder bei unseren ausgezeichneten
Beamten der inneren Verwaltung gefunden und bewundert. Dass dies so war,
[…] ist mir immer wieder als tiefster Eindruck unserer altösterreichischen Kultur
im Herzen geblieben.“21 Und in den späteren Jahren, als Redlich als prominenter
Reichsratsabgeordneter und Professor angesehener Universitäten enge Kontakte
zu Mitgliedern der Regierung und hohen Beamten unterhielt, werden aus seinen
Tagebucheintragungen scharfe Unterschiede im politischen Denken von Kaiser
und den Entscheidungsträgern sowie dementsprechend harte Konflikte deutlich.22
Sieger in Meinungsverschiedenheiten blieb allerdings (fast) immer (selbstver-
ständlich) Franz Joseph.
Redlich stellt eine etwas differenzierte, allerdings kompetente Stimme zur Frage
des Verhältnisses Kaiser – Beamte dar, die bestätigt, dass den Mitgliedern einer so
inhomogenen sozialen Großgruppe wie dem Beamtentum nicht ohne Differen-
zierung cum grano salis zugeschrieben werden kann, sich mit Kaiser und Dynastie
identifiziert zu haben. Die Dinge waren äußerst komplex. Es wurde bereits gesagt:
Die Beamten waren Kaiser und Verfassung sowie dem Verfassungsstaat durch den
Eid, den sie geleistet hatten, im Besonderen verpflichtet, gleichzeitig verhinderte
die starke ebenso verfassungsmäßige Bindung an den Kaiser eine wirkliche Inte-
gration in die neue staatsbürgerliche Gesellschaft und die Übernahme politischer
Verantwortung. Die politische Rolle der Bürokratie nach 1867 war eine andere
geworden. Sie repräsentierte zwar im Verständnis der Öffentlichkeit in Kontinu-
21 JOSEF REDLICH, „Aus dem alten Österreich. Erinnerungen und Einsichten.“ Fragmente der
Lebenserinnerungen von Josef Redlich. In: Schicksalsjahre Österreichs. Die Erinnerungen und
Tagebücher Josef Redlichs 1869–1936, 1: Erinnerungen und Tagebücher, hg. von Fritz Fellner
und Doris A. Corradini (Wien/Köln/Weimar 2011), S. 65.
22 REDLICH, Schicksalsjahre Österreichs 1, Erinnerungen und Tagebücher, vgl. vor allem die
Jahre 1906–1914, S. 174–626.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277