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3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en
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Franz Joseph war wie alle habsburgischen Prinzen vor ihm in der stoischen
Ethik erzogen worden. Im Besonderen spielte die katholische Staatsrechtslehre
des Justus Lipsius eine große Rolle.25 Die Eigenschaften, die nach Lipsius jeder
guter Herrscher aufzuweisen hätte, waren Klugheit und Tugend. Als Haupttugen-
den zählten Justitia und Clementia. Die Tugenden galten allerdings nicht allein
für den Fürsten, sondern auch für die Untertanen. Selbstverständliche Pflicht des
Regenten war es, auf die Tugenden der Untertanen zu achten. Aus der großen,
unbekannten Zahl der Untertanen hebt Lipsius expressis verbis die Beamten her-
vor (wobei er zwischen Staats- und Hofbeamten bereits streng unterscheidet). Die
Staatsbeamten sollten einem ehrenwerten Geschlecht entspringen, außerordent-
liche Tüchtigkeit aufweisen (vor allem jene, die nicht einem „ehrenwerten Ge-
schlecht“ entstammten!) und einer sittlichen Lebensführung nachkommen. Unter
den Staatsbeamten bedürften – so Lipsius – die hohen Beamten, die „Minister“,
die nahe dem Thron seien, einer besonderen Zuwendung des Regenten, der sie
vor allem sorgfältig auszuwählen habe. Der wahre Minister zeigt gemäß Lipsius
fünf Eigenschaften: Er muss gottesfürchtig, frei und offen in seiner Meinung, be-
ständig, beherrscht und geschickt sowie verschwiegen und auf die Wahrung der
Geheimnisse bedacht sein. Keinesfalls dürfe der gute Minister (Ratgeber, hohe
Beamte) Eigenschaften wie „Halsstarrigkeit, Selbstüberzogenheit, Neigung zu
Zwietracht, Leidenschaften wie Parteinahme und Jähzorn, Habgier und Eigen-
nutz“ besitzen. Fürwahr hohe Ansprüche, die an die Beamten gestellt wurden,
und eine hohe Aufgabe für den Regenten, auf den Stand dieser Tugenden bei
„seinen“ Beamten zu achten. Wir finden diese Ansprüche klar und deutlich von
Joseph II. ausgesprochen. Auch Franz Joseph hielt an den Tugenden der Objekti-
vität, Loyalität und Gerechtigkeit unverbrüchlich fest. Seine halsstarrige Haltung,
allein über die Staatsbeamten bestimmen zu dürfen (ja, nach Lipsius, zu müssen)
wird verständlich. Sie war keine persönliche Marotte, sondern drückte die alther-
gebrachte habsburgische und auch Franz Josephs eigene Auffassung von seinen ei-
genen hohen Regentenpflichten und sein Verständnis von Beamtentugenden aus.
25 Zum Folgenden GERHARD OESTREICH, Antiker Geist und moderner Staat bei Justus
Lipsius (1547–1606) (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Aka-
demie der Wissenschaften 38, Göttingen 1989), S. 118 f., 124 f., 204 ff. Oestreich stützte sich auf
die Ausgabe von Lipsius’ „Politik“. In: JUSTUS LIPSIUS, Opera Omnia IV (Wesel 1675). Ich
danke Frau Dr. Hanna Burger sehr herzlich, mich auf die Tradition des Lipsius bei den Habs-
burgern und die entsprechende Literatur aufmerksam gemacht zu haben; siehe auch HANNA
BURGER, Sprache und Gerechtigkeit. In: www.kakanien.ac.at/beitr/fallstudie/HBurger.pdf
(Februar 2004), S. 1–6.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Josephinische Mandarine
- Untertitel
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Autor
- Waltraud Heindl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 336
- Schlagwörter
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277